Die Vorsokratiker erfinden das rationale Denken

Die ersten rationalen Denker tauchten im 6. Jahrhundert vor Christus in Griechenland auf. Als erster Philosoph überhaupt gilt Thales von Milet. Es ist nicht genau bekannt, wann er geboren wurde und wann er starb. Es gilt aber als sicher, dass er in den Jahren vor 580 v. Chr. gelebt hat, weil der die Sonnenfinsternis des Jahres 585 v. Chr. genau vorhergesagt hatte. Thales von Milet fragte sich, aus was die Welt besteht und stellte die These auf, dass sie sich nur aus einem einzigen Element zusammensetzt. Er dachte, dass die Materie in irgendeiner Form aus Wasser besteht. Einer der Schüler von Thales von Milet war Anaximander, der etwa von 610 bis 546 v. Chr. lebte.

Die Einheit der Gegensätze und die ständige Veränderung in der Welt

Anaximander stellte sich die Erde als einen im Raum schwebenden Festkörper vor, dessen Lage sich deshalb nicht verändert, weil seine Entfernung zu allen Dingen gleich bleibt. Er hielt die Erde nicht für einen Globus, sondern betrachtete sie als flache Scheibe in der Form eines Zylinders. Bekannter als die Philosophen aus Milet war Heraklit, der aus Ephesos stammte. Zwei Ideen machten ihn berühmt: Die erste ist die Einheit der Gegensätze. Er zeigte, dass der Weg bergauf und bergab ein und derselbe Weg ist und nicht zwei verschiedene.

„Alles fließt“ ist der zweite geniale Gedanke des Heraklit. Er erkannte, dass die Wirklichkeit ihrem Wesen nach unbeständig ist. In der Welt ist nichts von Dauer, alles unterliegt einer ständigen Veränderung. Die Dinge sind seiner Meinung nach keine festen Gegenstände, sondern befinden sich in einem fortwährenden Übergang.

Pythagoras war der genialste der Vorsokratiker

Der vielleicht berühmteste und einflussreichste Vorsokratiker ist Pythagoras, der etwa 570 v. Chr. auf Samos geboren wurde und um 497 v. Chr. starb. Er hatte eine besondere Begabung für die Mathematik und entwickelte die „Quadratzahl“ und die „Kubikzahl“. Auf ihn geht die Anwendung geometrischer Begriffe der Arithmetik zurück. Er gilt auch als Schöpfer des Ausdrucks „Philosophie“ und soll als erster das Wort „Kosmos“ auf das Universum angewandt haben. Als erster großer Denker verwendete Pythagoras mathematische Methoden in der Philosophie. Das war einer der genialsten Gedanken, die je ein Mensch hatte.

Xenophanes der im späten 6. Jahrhundert vor Christus wirkte, stellte die These auf, dass das Wissen des Menschen seine eigene Schöpfung ist. Indem der Mensch hinzulernt und seine Vorstellungen im Lichte des Gelernten verändert, kommt er der Wahrheit zwar näher, doch bleiben seine Vorstellungen immer seine eigenen Vorstellungen, die von Mutmaßungen begleitet werden.

Das Universum ist eine unveränderbare Einheit

Ein Schüler von Xenophanes war der Philosoph Parmenides, der in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. wirkte. Für ihn war es ein Widerspruch, wenn vom Nichts gesagt wurde, dass es existiert. Es kann seiner Meinung nach, niemals Nichts gegeben haben und etwas aus dem Nichts entstanden sein. Alles muss immer existiert haben. Also ist es auch nicht möglich, dass die Dinge einen Anfang haben oder das Ergebnis einer Schöpfung sind. Vielmehr müssen sie ewig und unvergänglich sein. Das Universum ist eine einzige unveränderbare Entität, alles ist Eines.

Der Vorsokratiker Empedokles, der nicht nur Philosoph war, sondern auch ein politischer Führer und Demagoge, lebte in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Seiner Ansicht nach besteht alles aus vier verschiedenen und immerwährenden Elementen: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Er versuchte sowohl die Wirklichkeit einer sich ständig verändernden Welt der Sinneserfahrung als auch die Vielfalt dieser Welt wieder zur Geltung zu bringen. Wie Parmenides war er davon überzeugt, dass die Materie nicht aus dem Nichts entstehen und im Nichts vergehen kann.

Die Welt setzt sich aus Atomen zusammen

Zu den Denkern der vorsokratischen Zeit zählen auch die „Atomisten“ Leukipp und Demokrit. Leukipps Grundidee war, dass alles aus Atomen besteht, die so klein sind, dass sie weder sichtbar noch teilbar sind. Er lehrte, dass nur der Raum und die Atome existieren und dass die Dinge nur aus verschiedenen Anhäufungen von Atomen im Raum bestehen. Die Atome sind weder selbst geschaffen, noch können sie zerstört werden. Veränderungen waren für Leukipp und Demokrit vor allem das Ergebnis von Ursache und Wirkung. Außerdem vertraten sie die Meinung, dass das Universum kein Kontinuum ist, sondern aus getrennten Entitäten besteht.

Den Vorsokratikern ging es darum, die Natur der den Menschen umgebenden Welt und nicht das Innere des Menschen zu verstehen. Außerdem fingen sie an auf allgemeinstem Niveau ihre Theorien aufzustellen. Noch heute werden ihre vielen guten Ideen bewundert, auch wenn sich manche Theorie als Irrweg herausstellen sollte. In den folgenden Jahrhunderten konnten die folgenden Philosophen bei ihrem Bemühen, die Welt zu verstehen, auf vielen weisen Gedanken der Vorsokratiker aufbauen.

Von Hans Klumbies