Videoportale verändern die menschlichen Sehgewohnheiten

Das Musikvideo „Gangnam Style“ machte den koreanischen Rapper Psy zum Weltstar. Ohne das Videoportal YouTube wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen. „Gangnam Style“ ist das erste und bisher einzige Video, das über eine Milliarde Zuseher hatte. YouTube ist nicht nur mit Abstand das größte Videoportal der Welt, es ist hinter Google auch die zweitgrößte Suchmaschine. Niemand weiß genau, wie viele Millionen Filme und Filmchen sich auf dem Videoportal befinden. Allein in zwanzig Minuten laden die User soviel Videomaterial hoch, für das ein Mensch sechzig Tage brauchen würde, um alles zu sehen. Gegründet haben YouTube der Amerikaner Chad Hurdie, der Taiwaner Steve Chen und der Deutsche Jawed Karim im Jahr 2005. Für viele Medienexperten ist mit YouTube das dritte Zeitalter des Fernsehens ausgebrochen. Nach dem öffentlichen TV-Programm und anschließend den vielen privaten Kabelsendern folgt nun das „Jeder-kann-mitmachen-Fernsehen“ im Internet mit Millionen von Kanälen.

YouTube ist der Convenience Store der Medienbranche

Nicht immer ist nachvollziehbar, warum ein Video ein Hit wird. Für Medienforscher besteht allerdings kein Zweifel daran, dass YouTube und Co. die menschlichen Sehgewohnheiten nachhaltig verändern. Früher waren die Menschen an ein starres Fernsehraster gebunden mit festen Sendern und Zeiten. Heute dagegen kann man fast alles jederzeit und, mithilfe von Tablet und Smartphone, überall sehen. Manuel Nappo, der Leiter der Fachstelle Social Media an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich, sagt: „YouTube ist der Convenience Store der Medienbrache.“

In der Branchensprache heißt dieses Ego-TV nicht lineares Fernsehen. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger macht es bereits rund 25 Prozent der Fernsehzeit aus. Die Zersplitterung der Aufmerksamkeit ist eine Gefahr für die Fernsehsender, die bisher das Oligopol für bewegte Bilder besaßen. Sie müssen darauf mit Inhalten reagieren, bei denen die Videoportale nicht mithalten können. Philipp Leutiger von Roland Berger Strategy Consultants sagt: „Live-Events werden immer wichtiger Programmteile werden, weil sie sich schlecht konservieren lassen.“

Immer mehr TV-Sender präsentieren sich im Internet

Deshalb senden die Fernsehsender immer mehr Sonderberichte zu aktuellen Ereignissen, Castingshows und Sportübertragungen. Philipp Leutiger erklärt: „Die Rechte an der Champions League oder der Formel 1 werden sich auf absehbare Zeit nur die traditionellen Player leisten können.“ Zunehmend präsentierten sich die TV-Sender auch selbst im Internet. Einer der ersten war die BBC. Aber auch für das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) ist YouTube ein sehr wichtiges Thema, wie Beat Witschi, Leiter Multimedia, erläutert.

Seit dem Jahr 2007 präsentiert sich das Schweizer Staatsfernsehen auf YouTube. Es betreibt dort über 30 eigene Kanäle, elf davon auf Deutsch. Beat Witschi erklärt: „Wir versuchen, die Zuschauer dort wieder aufzufangen, wo sie hingegangen sind.“ Die Zugriffszahlen sind allerdings im Vergleich mit den Reichweiten des Fernsehens noch immer minimal. Einzelne Sendungen, vor allem solche für ein jugendliches Publikum, sind aber durchaus erfolgreich. So schafften es zum Beispiel die Folgen von „The Voice of Switzerland“ zusammen auf 2,5 Millionen Views.

Von Hans Klumbies