Der Selbstmord ist eine furchteinflößende Sache

Unter allen Lebewesen sind nur die Menschen in der Lage, über den Selbstmord nachzudenken und ihn in einer bewussten Entscheidung auszuführen. Daniel Klein ergänzt: „Wenn aber ein Mensch bei Sinnen, bewegungsfähig und einigermaßen findig ist, kann er frei entscheiden, sich selbst zu töten, und es dann auch tun.“ Die meisten Menschen haben diese Möglichkeit allerdings niemals wirklich in Betracht gezogen. Der Verstand sagt ihnen, dass Selbstmord eine Option ist, sich aber nie mit dem Herzen und Kopf auf ihn konzentriert, während sie allein in einem schummrigen Zimmer saßen. Denn der Selbstmord ist eine furchteinflößende Sache. Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

Einer kranken Psyche erscheint der Selbstmord als einziger Ausweg

Daniel Klein schiebt eine wichtige Anmerkung ein: Bei seiner Betrachtung des Selbstmordes spart der französische Philosoph und Existenzialist Albert Camus (1913 – 1960) die psychische Komponente ganz aus, besonders das Problem, dass ein psychisch erkrankte Person so starke seelische Schmerzen verspüren kann, dass der Selbstmord ihr als einziger Ausweg erscheint, als einzige Abhilfe. Die meisten Psychiater würden sagen, dass solche Menschen durchaus andere Optionen hätten, etwas eine medikamentöse Behandlung oder eine Psychotherapie.

Und was noch wichtiger ist: Die meisten Psychiater würden auch sagen, dass selbstmordgefährdete Personen per definitionem nicht rational vorgehen, sondern dass jeder, der sich das Leben nimmt, irrational handelt. Albert Camus aber würde natürlich sagen, dass es in höchstem Maße rational sein könne, ernsthaft über den Selbstmord nachzudenken. Ein Mann, dessen Tochter Selbstmord begangen hatte, sagte zu einem Freund: „Ich wünsche mir nicht einfach, dass sie am Leben geblieben wäre, ich wünsche mir, dass sie einen Grund zum Weiterleben gefunden hätte.“

Durch die Konfrontation mit dem Selbstmord kann man einen Grund zum Weiterleben finden

Die fesselndste und erschreckendste Beschreibung eines Individuums, das den Selbstmord ins Auge fasst, findet sich nach der Ansicht von Daniel Klein in Graham Greenes außergewöhnlichem autobiographischem Essay „Der Revolver im Eckschrank“. Als Teenager wurde Greene von heftigen Gefühlen der Daseinsleere heimgesucht. Dann schlich er sich mit dem Revolver seines Bruders nach Berkhamsted Common und spielte dort russisches Roulette. Er legte eine einzige Kugel ein, drehte die Trommel, presste die Mündung der Waffe an seinen Kopf und drückte den Abzug.

Wenn es nur „klick“ machte – und so war es bei jedem seiner Versuche – überströmten ihn Glücksgefühle. „Es war mir, als wäre plötzlich ein Licht angezündet. Mein Herz schlug in seinem Käfig, und ich fühlte, dass das Leben unendliche Möglichkeiten barg.“ Albert Camus hätte gewiss kein russisches Roulette empfohlen. Denn es legt die grundsätzliche existenzielle Entscheidung über Weiterleben oder Sterben letztendlich in die Hände des Schicksals. Aber Graham Greenes Handeln zeigt doch auf dramatische Weise, wie ein Mensch durch die Konfrontation mit dem Selbstmord seinen eigenen ultimativen Grund zum Weiterleben finden kann, wie immer der auch aussehen mag. Quelle: „Immer wenn ich den Sinn des Lebens gefunden habe, ist er schon wieder woanders“ von Daniel Klein

Von Hans Klumbies