Der Preis der Arbeit entspricht nicht mehr dem Wert der Leistung

Forscher der Denkfabrik New Economics in Großbritannien haben in einer Studie folgendes errechnet: Jedes britische Pfund, dass eine Putzfrau erhält, schafft mehr als zehn Pfund an gesellschaftlichem Wert. Jedes britische Pfund dagegen, das ein Spitzenbanker kassiert, kostet die Gesellschaft zusätzlich sieben Pfund. Noch verheerender fiel die Bilanz bei Steuerberatern aus: Für jedes verdiente Pfund legen die Steuerzahler noch einmal 47 Pfund drauf. Aus diesen Beispielen wird klar ersichtlich, dass eine hohe Bezahlung nicht heißen muss, dass auch die gesellschaftliche Leistung des Bezahlten hoch zu bewerten ist. Wer ein hohes Einkommen hat, hat möglicherweise viel geleistet, aber nicht unbedingt für die Allgemeinheit. Was eine Person pro Monat verdient, hängt weniger davon ab, was er tut, sondern wieviel andere Menschen dafür bezahlen wollen.

Auf dem Arbeitsmarkt ist die Kluft zwischen oben und unten größer geworden

Die Studie bestätigt auch das verbreitete Wissen, dass die Kluft zwischen ganz oben und ganz unten auf dem Arbeitsmarkt größer geworden ist. Viele Menschen bekommen nicht mehr das Gehalt, das sie eigentlich verdient hätten. Der Preis der Arbeit hat sich vom Wert ihrer Leistung entkoppelt. Die Arbeit beruht auf den traditionellen Gesetzen der Marktwirtschaft. Die Menschen gehen zur Arbeit, wenn es sich für sie lohnt. Ein Unternehmer beschäftigt nur dann Arbeitskräfte, wenn er sie braucht und wenn er mit ihnen langfristig einen ausreichenden Gewinn erzielen kann.

Ein kluger Kapitalist investiert dort, wo der Profit ernten und dieser wachsen kann. Er streckt Geld vor, wenn sich mit innovativen Produkten neue Geschäftsfelder erschließen lassen. Und er legt dort Geld an, wo sich Menschen durch Maschinen ersetzen lassen, um die Produktivität in der Industrie zu steigern. Es gibt allerdings Bereiche, in denen dies nicht leicht oder überhaupt nicht möglich ist: Im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich. Dort sind vor allem der Staat, die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände die großen Arbeitgeber, die mehr oder weniger unter einer prekären Finanzlage leiden.

Auf dem Arbeitsmarkt ist der ideale Markt eine Fiktion

Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith hat diesen Umstand einmal wie folgt beschrieben: „So entsteht privater Reichtum und öffentliche Misere.“ Und dieses spiegelt sich auch in der Bezahlung wieder. Kann ein Unternehmen viel verdienen, profitieren auch die Mitarbeiter, da sie dann in der Regel auch besser bezahlt werden. Der Dienst an der Allgemeinheit dagegen, zählt relativ wenig. Er verlangt menschlichen Kontakt, lässt sich kaum automatisieren und nicht immer produktiver gestalten, wenn man keine Qualitätseinbußen hinnehmen möchte.

Der Preis der Arbeit kann also bei vielen Menschen gar nicht von ihrer Produktivität abhängig sein, weil sie sich nicht wie beim Akkordarbeiter genau in Zahlen messen lässt. Der Chef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Joachim Möller, bestätigt dies: „Die relative Lohnhöhe beruht häufig nicht auf Produktivität, sondern auf sozialer Konvention, da beißt die Maus keinen Faden ab.“ Auf einem idealen Markt entwickelt sich der Preis durch Angebot und Nachfrage, was im Prinzip auch für den Preis der Arbeit Gültigkeit besitzt. Auf dem Arbeitsmarkt ist der ideale Markt allerdings eine Fiktion. Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies