Der moderne Mensch braucht Lebensberatung

In der heutigen Zeit wimmelt es laut Martin Seel vor nichts so sehr als von Therapeuten, die ihren Lesern mit erbaulichen Büchern zu einem besseren Leben verhelfen wollen. Martin Seel, der Professor für Philosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ist, verwendet als Beispiel das Buch „Glück kommt selten allein …“ von Eckart von Hirschhausen, das sich seit Wochen auf dem ersten Platz der Bestsellerliste des Spiegels befindet. Für Martin Seel ist das Buch ein kabarettistisch angehauchtes, mit der obligatorischen Gehirnforschung und anderen wissenschaftlichen Weisheiten garniertes sowie mit reichlich Bildern und Bildchen ausgestattetes Werk über nahezu alle Höhen und Tiefen des Themas.

Es gibt kein Glück ohne Anstrengung

Laut Martin Seel singt Eckart von Hirschhausen einmal mehr das Lied von den einfachen Freuden, für die empfänglich sein muss, wer in seinem Dasein das große Los ziehen möchte. Glück, so lautet die Botschaft von Eckart von Hirschhausen, ist nicht zu machen, schon gar nicht im Alleingang. Aber man muss doch sehr viel dafür tun, dass es sich einstellt.

Der Mensch, der das Glück sucht, sollte seine eigenen Stärken ausbauen und dadurch die eigenen Schwächen verringern, wozu es vor allem der Kraft des positiven Denkens bedarf. Martin Seel stellt fest, dass Bücher über das Lebensglück selten allein kommen. Obwohl sie alle mehr oder weniger das Gleiche sagen, gibt es sie in Hülle und Fülle. Sie heißen „Die Glücksformel“, „Die Glückshypothese“, der „Glücks-Faktor“, „Das gute Leben“ oder einfach nur „Glück“.

Martin Seel: „Der moderne Mensch weiß nicht, was er eigentlich will“

Die professionelle Lebensberatung ist zwar nicht das älteste aller Gewerbe, aber doch ein ziemlich altes. Martin Seel postuliert, dass auch ihr Ruf nicht immer der beste war. Schon vor rund 2.500 Jahren ereiferte sich Sokrates über die Sophisten auf dem Athener Markt, die ihren Kunden für viel Geld eine umfassende Lebensberatung versprachen.

Der moderne Mensch, der aus den festen, traditionellen Bindungen entlassen worden ist, braucht noch viel mehr Lebensberatung als die alten Griechen, da er nicht so recht weiß, was er auf Erden eigentlich will. Er befindet sich in seiner Lebensführung in einer grundsätzlich unbestimmten Lage. Der Mensch im 21. Jahrhundert ist darauf angewiesen, seinem Leben wenigstens einen provisorischen Sinn zu geben.

Die meisten Menschen wissen, dass der Sinn ihres Lebens höchst ungewiss ist

Martin Seel erklärt, warum es heutzutage von Lebenshilfebüchern nur so wimmelt. Er geht davon aus, dass deren Konjunktur nicht nur das Verlangen nach verbilligter Weisheit anheizt, sondern auch ein ganz unverdächtiges Bedürfnis auf Seiten der Leser aufgreift. Die meisten Menschen haben ja längst begriffen, dass der Sinn ihres Lebens höchst ungewiss ist. Sie dürften auch wissen, dass ein für sie selbst wegweisender Rat nicht in Büchern stehen kann, die für ein allgemeines Publikum geschrieben worden sind.

Professioneller Rat kann nur von Leuten kommen, die die persönliche Lage eines bestimmten Menschen ganz genau kennen. Wenn Menschen dennoch Bücher zur Lebenshilfe lesen, so ist es gar nicht ein bestimmter Rat, den sie suchen, sondern möchten mit möglichen Wegen zur Gestaltung des Daseins unterhalten werden. Sie wollen Erfahrungen mit ihren eigenen existentiellen Erfahrungen machen, die es ihnen erlauben, ihr Selbstverständnis zu erweitern.

Von Hans Klumbies