Der Kapitalismus fördert die Ungleichheit der Geschlechter

Ein Wesenszug des Kapitalismus und der Klassengesellschaft im Allgemeinen ist für Evelyn Reed die Ungleichheit der Geschlechter. Während die Männer in Wirtschaft, Kultur, Politik und Geistesleben die dominierende Rolle spielen, müssen Frauen eine untergeordnete, wenn nicht gar unterwürfige Position einnehmen. Auch wenn inzwischen immer mehr Frauen das männliche Monopol in Frage stellen, bleibt doch die grundsätzliche Benachteiligung der Frauen gegenüber den Männern bestehen. Dieser Mythos der weiblichen Unterlegenheit prägt die Klassengesellschaft seit ihren Anfängen vor ein paar Tausend Jahren durch ihre drei Hauptstadien: Sklaverei, Feudalismus und Kapitalismus. Evelyn Reed zieht daraus folgenden Schluss: „Darum ist die Klassengesellschaft als männerdominiert zu bezeichnen.“ Evelyn Reed, die von 1905 bis 1979 lebte, war eine amerikanische Frauenrechtlerin und Marxistin. Als Mitglied der Socialist Workers Party entlarvt sie als eine der Ersten das Patriarchat als einen Mythos.

Die Klassengesellschaft erniedrigt die Frauen und erhebt die Männer

Aufrechterhalten wurde die Dominanz des Mannes gegenüber der Frau durch das System des Privateigentums, den Staat, die Kirche und durch eine Form von Familienstruktur, die den Interessen des Mannes angepasst war. Auf der Basis historischer Studien sind laut Evelyn Reed falsche Behauptungen zur sozialen Vormachtstellung des männlichen Geschlechts von Generation zu Generation weitergegeben worden. Evelyn Reed erläutert: „So gilt als unerschütterliches Axiom, die gesellschaftliche Überlegenheit des Mannes gründe in einer natürlichen Überlegenheit.“

Um diese Behauptung zu stützen, wurde ein entsprechender Mythos auch über die Frauen in die Welt gesetzt. Nämlich, dass die Frauen den Männern gesellschaftlich unterlegen seien, weil sie ihnen von Natur aus nicht ebenbürtig sind. Und als Beweis wird angeführt, dass sie Mütter sind: „Die Natur, so heißt es, habe das weibliche Geschlecht zur Unterordnung bestimmt.“ Evelyn Reed vertritt aber die These, dass nicht die Natur, sondern die Klassengesellschaft die Frauen erniedrigt und die Männer erhebt.

Mütter werden sowohl entwürdigt als auch heilig gesprochen

Die Männer gewannen ihre Vormachtstellung in der Gesellschaft im Kampf gegen die Frauen. Doch dieser Gesellschaftskampf war für Evelyn Reed Teil eines umfassenden sozialen Kampfes – dem Umsturz der primitiven Gesellschaft und der Einsetzung der Klassengesellschaft. Evelyn Reed erklärt: „Dieser historische Prozess wird hinter dem Mythos von der weiblichen Unterlegenheit versteckt. Nicht die Natur, sondern die Klassengesellschaft hat die Frauen des Rechts beraubt, höhere soziale Funktionen auszuüben, und das Hauptaugenmerk auf den animalischen Aspekt der Mutterschaft gelenkt.“

Dabei wurde zum einen das Muttersein als biologisches Gebrechen dargestellt, das aus den Fortpflanzungsorganen der Frau entsteht. Zum anderen tritt eine geradezu mystische Deutung der Mutterschaft hinzu. Um Frauen über ihren Status als Bürger zweiter Klasse hinwegzutrösten, werden Mütter laut Evelyn Reed mit einem Heiligenschein umgeben und für ihre besonderen Instinkte, Gefühle und Kenntnisse gefeiert, die sich auf alle Ewigkeit dem Verstand des Mannes entziehen würden. Evelyn Reed erläutert: „Heiligsprechung und Entwürdigung sind hier die zwei Seiten der Medaille.“

Von Hans Klumbies