Boualem Sansal erhält 2011 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Der Algerier Boualem Sansal erhält 2011 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er ist ein Schriftsteller mit einem sehr anregenden Romanwerk und ein Denker, der nach Antworten auf die politischen Fragen der Zeit in Algerien sucht. Zudem ist er ein Autor mit viel Mut, ein ehemaliger hoher Beamter in seiner Heimat. Sein hohes Ansehen in der Welt hat er sich nicht durch internationale Medienauftritte verschafft, sondern durch seine fünf Romane, für die er in Algerien geschmäht und aus seinem Job entlassen wurde. Boualem Sansal, der 1949 in einem algerischen Bergdorf geboren wurde, fand seine Berufung zur Literatur erst in relativ hohem Alter. Zunächst arbeitet er als Ingenieur in der Privatwirtschaft. Ab 1996 stieg er in eine Führungsposition beim algerischen Industrieministerium auf.

2002 erschien der erste Roman von Boualem Sansal in deutscher Sprache

Sein Erstlingswerk „Der Schwur der Barbaren“ wurde im Jahr 1999 veröffentlicht. In ihm schildert Boualem Sansal seine Erfahrungen des Terrors in Algerien, der sowohl von den Islamisten als auch von der Staatsgewalt ausging. In surrealistischen Szenen und mit einer kraftvollen Ausdrucksweise schildert der Schriftsteller die Situation eines Landes, das über die Glorifizierung der errungenen Unabhängigkeit, das eigene Volk vergisst. In den vier Folgeromanen ging es unter anderem um geheuchelte Frömmigkeit, Chaos im Migrantenmilieu, Korruption und Filz im Machtapparat.

Der erste deutsche Titel „Das verrückte Kind im hohlen Baum erschien 2002 im Merlin-Verlag. Er erzählt die Auseinandersetzung zwischen einem unnütz daherredenden Franzosen und einem jungen algerischen Religionskrieger. Der Schauplatz des Streitgesprächs ist die Todeszelle eines Gefängnisses im Süden Algeriens. Im Roman „Harraga“, der 2005 veröffentlicht wurde, beschreibt Boualem Sansal das einsame Leben einer Krankenschwester in Algier, die sich in die innere Immigration geflüchtet hat. Ihr Dasein bekommt wieder einen Sinn, als sie mit einer minderjährigen schwangeren Immigrantin zusammentrifft.

Boualem Sansal prangert die Korruption und geistige Verflachung in Algerien an

In seinen Romanen feiert Boualem Sansal auch das Leben an sich. Die Wortkaskaden, die Handlungen und surrealen Ahnungen der Personen, die er in einem barocken Sprachstil wiedergibt, verweigern sich der Form üblicher Begriffe. Boualem Sansal ist nicht nur ein famoser Schriftsteller, sondern auch ein Intellektueller, der immer wieder mit kritischen Fragen in den politischen Diskurs in Algerien und Europa eingreift. So fragte er beispielsweise schon vor vier Jahren in einem Zeitungsartikel die Europäer: „Warum seid ihr so nachsichtig mit unseren arabischen Potentaten, die ihre Völker verachten?“

Die offene Wahrheit sprach Boualem Sansal auch immer wieder gegenüber seinen Landsleuten aus, wie zum Beispiel in dem Buch „Postlagernd: Algier“, das 2006 erschien. Sein Fazit lautete damals: in Algerien herrsche Korruption und Fehlplanung, ein politischer Erschöpfungszustand und eine geistige Verkümmerung, weil keine Debatten über die Probleme Algeriens stattfänden.

Die Blindheit der Algerier gegenüber dem Faschismus

Aufgrund dieser Publikation wurden in Algerien alle seine Bücher verboten. Daraufhin zog sich der Schriftsteller in das algerische Küstenstädtchen Bourmerdès zurück. Der aktuelle Roman von Boualem Sansal heißt „Das Dorf des Deutschen“. Er erzählt darin von einem Deutschen, der während des Unabhängigkeitskriegs nach Algerien eingewandert war. In seinem Dorf erlangt er beträchtliches Ansehen.

Später finden seine in Frankreich aufgewachsenen Söhne heraus, dass er ein überzeugter Nazi war. Doch die Menschen im Dorf interessieren sich nicht für die Vergangenheit des patenten Deutschen. Boualem Sansal demonstriert in diesem Werk die Blindheit der Algerier gegenüber dem Faschismus – im heutigen Algerien immer noch ein Tabubruch.

Von Hans Klumbies