Rationales Denken besteht nicht nur aus Logik

Der Begriff „Gedankengang“ bedeutet nicht, dass die menschlichen Gedanken fein säuberlich hintereinandergelegt werden wie Dominosteine. Oft vermischen sie sich wie die Farben in einem Lichtstrahl, die allmählich ineinander übergehen. Manchmal denkt man auch an gar nichts und nimmt nur äußere Reize auf. Manchmal bleibt man stecken, und der Geist dreht sich im Kreis. Dennoch ist der „Gedankengang“ für David Gelernter ein nützlicher Begriff, wenn man seine Grenzen kennt. In der Regel ist es für einen Menschen immer leichter, sich an eine Lösung für ein Problem zu erinnern, als eine neue zu konstruieren. Rationales Denken besteht nicht nur aus Logik, nicht nur daraus, alle Daten und Annahmen zu sammeln und damit weiterzukommen. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale Universität.

Das vernünftige Denken hängt von Gedächtnisinhalten ab

David Gelernter erläutert: „Rationales Denken bedeutet auch, dass man die richtigen Methoden und Abkürzungen auswählt – die richtige Heuristik. Zeitliche Abläufe nachzuvollziehen, ist als Heuristik von entscheidender Bedeutung.“ Außerdem sind zeitliche Abläufe eng mit der Logik verwandt. Vernünftiges Denken setzt also einen abstrakten Zeitablauf voraus. Zeitliche Kausalität ist nicht das Gleiche wie logisches Folgern. Das Denken in zeitlichen Abläufen steht dem abstrakten Nachdenken sehr nahe.

Der ununterbrochene Zeitfaden, der sich durch das Leben eines Menschen zieht, ist eine Hilfe für die Lösung von Problemen. Man tut was vernünftig ist, und die Vernunft geht über die Logik hinaus. Wer alle Möglichkeiten bei der Lösung eines Problems in Bedacht zieht, denkt rational und systematisch, emotionslos und diszipliniert. Diese Form des Denkens erfordert ständige Aufmerksamkeit. Das vernünftige Denken hängt nicht weniger als das Erinnern von einer Reihe von Gedächtnisinhalten ab. Angetrieben wird es durch Anfragen an das Gedächtnis, die nacheinander beantwortet werden.

Der Geist des konzentrierten Denkers ist stark fokussiert

Vermutlich finden dabei auch unablässig Sprünge von abstrakten Überlegungen zu Bildern statt, aber das hängt vom Problem ebenso ab wie von der Person, die das Problem löst. Das Gedächtnis gelangt in Verbindung mit einfachen Regeln der Logik und grundlegender Lebenserfahrung zu unschlagbar guten Lösungen. Hochkonzentrierte Gedanken werden durch eine interessante, aber irrelevante Wahrnehmung, Erinnerung, Idee oder insbesondere Emotion nicht aufgelöst oder abgelenkt. Der konzentrierte Denker ist absichtlich „engstirnig“, wobei der Geist stark fokussiert ist.

Um den Geist zu verstehen, muss man das Terrain jenseits der Logik ebenso sorgfältig untersuchen wie Logik und Vernunft. David Gelernter ergänzt: „Damit muss nicht gesagt sein, dass das rationale Denken nicht die Grundlage für die größten intellektuellen Errungenschaften der Menschheit bildet.“ Zu fühlen, dass etwas richtig ist, ist viel einfacher, als es zu beweisen. Und wenn man es beweisen will, entdeckt man unter Umständen, dass die Gefühle trotz des völlig entschiedenen, felsenfesten Gefühls der Überzeugung kompletter Unsinn sind. Quelle: „Gezeiten des Geistes“ von David Gelernter

Von Hans Klumbies