Denken und Träumen können ineinander übergehen

Auf der Schwelle zum Schlaf und den Träumen befindet man sich in einem Zustand des freien Assoziierens. Denken und Träumen können laut David Gelernter ineinander übergehen. Die Grenze zwischen Denken und Träumen ist ein faszinierender, wenig bekannter Teil des Geistes. David Gelernter erklärt: „Dass Träume Halluzinationen sind, wissen wir alle; aber der besondere Charakter der geistigen Aktivität beim Einschlafen bzw. des hypnagogischen Denkens, das zum Schlaf führt, ist nicht allgemein bekannt.“ Bekannt dagegen ist, dass der hypnagogische Zustand durch lockeres oder freies Assoziieren gekennzeichnet ist, das man als „Bewusstseinsstrom“ beschreiben könnte.“ Aber das ist es nicht allein; oft treten in diesem Zustand auch einzelne, kurze Halluzinationen auf. Sich im „Wachtraum“ zu befinden, traumähnliche Halluzinationen zu erleben, während man noch wach ist, aber am Rande des Schlafes steht – genau das ist der Charakter des Einschlafgedankens. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

Beim Einschlafen mischen sich normale Gedanken mit Halluzinationen

Wer kurz vor Beginn des Schlafens oder Träumens gestört wird, ist unter Umständen überrascht über die Einschlafgedanken, die er gerade hatte. Einschlafgedanken folgen in der Regel keiner offensichtlichen Handlung. Aber jeder Schritt auf dem Weg zum Schlaf kann einen Menschen vollkommen mit Beschlag belegen. Die Gedankenfolgen beim Einschlafen sind eine Mischung aus normalen Gedanken und Halluzinationen. Dabei scheint der Anteil der Halluzinationen gegenüber den gewöhnlichen Gedanken zuzunehmen, wenn man sich dem Schlaf nähert.

Wenn sich ein Mensch an der Klippe des Bewusstseins abseilt, gelangt er schließlich zu den Träumen und zu einer einfachen Wahrheit. David Gelernter erläutert: „Wenn wir träumen, dominiert der innere Bewusstseinsbereich (Phantasie und Gedächtnis) gegenüber dem Außenbereich. Das Gedächtnis speist das Bewusstsein, und wir befinden uns am Ende unserer Fähigkeit, das Bewusstsein zu kontrollieren, zu entscheiden, welche Gedanken ins Bewusstsein vordringen und welche abgelehnt werden.“

Träumen ist einfach eine andere Form der Erinnerung

Träumen ist also gleichbedeutend mit zwanglosem Erinnern. Natürlich tauchen auch visualisierte Ideen und Spekulationen auf, aber in Träumen dominiert das Erinnern. Sigmund Freud schrieb: „Träumen ist einfach eine andere Form der Erinnerung.“ Man kann es auch wie folgt formulieren: Träumen ist erinnern, das keiner Kontrolle unterliegt. Dabei geht man von Erinnerungen aus jüngerer Zeit aus und arbeitet sich in die Vergangenheit vor. Dabei entdeckt man, was einen wirklich interessiert oder beunruhigt.

Unangenehme Gedanken können Menschen gut zurückweisen und aus dem wachen Bewusstsein fernhalten. Selbst in Träumen kapituliert man nie vollständig; sie werden häufig von „Dysphorie“ begleitet, einer fokussierten Verstimmtheit. Es handelt sich dabei um unangenehme Erinnerungen, die man zwar spüren kann, aber die man selbst im Traum nicht ins Bewusstsein vordringen lässt. Aber ein Mensch ist im Schlaf nicht so vorsichtig, dass er dabei konsequent vorgeht: „Wir lassen gefährliche Gedanken vorüberziehen. Wir haben Alpträume.“ Quelle: „Gezeiten des Geistes“ von David Gelernter

Von Hans Klumbies