Das Ich wird von den Mächten des Unbewussten beherrscht

Während das Ich als steuernde Instanz auf Ordnung und Organisation ausgerichtet ist, bleibt das Es unberechenbar. Der Trieb ist materialistisch und auf Verbrauch ausgerichtet. Er unterliegt weder einer sittlichen noch einer rationalen Lenkung. Sigmund Freud schreibt: „Selbstverständlich kennt das Es keine Wertungen, kein Gut und Böse, keine Moral.“ Dem Es kann man nur in Vergleichen nahekommen, denn es ist eigentlich unbenennbar, sofern es sich nicht in Träumen oder Neurosen meldet. Peter-André Alt ergänzt: „Aus diesem Grund repräsentiert es auch kein „Unbewusstes“ – einen bis heute häufige Fehlbenennung, die Sigmund Freud immer rügte –, sondern eine amorphe und unbekannte, nur über Wirkungen erfahrbare Ordnung.“ Als „Kessel voll brodelnder Erregungen“ lässt sich das Es weniger beherrschen als über Umwege sublimieren. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

Das Es folgt seinem eigenen Rhythmus

In einer kurzen Studie aus dem Jahr 1925 verwies Sigmund Freud darauf, dass sich bei Neurotikern das Unbewusste über den Mechanismus der Verneinung artikuliere. Während das rationale Urteil auf einer Verarbeitung des Triebs gründet und dergestalt geistige Freiheit verrät, bleibt der neurotische Mensch seinem Unbewussten verhaftet, indem er es negiert. Dessen Macht bekundet sich in der Unmöglichkeit, seinen Forderungen dauerhaft auszuweichen. Das Ich tritt aus dem Es hervor, indem es dessen wilde Kräfte zu organisieren sucht.

Als Teil des Es bleibt das Ich gleichsam vorgelagert, der Außenwelt ausgesetzt und damit von Wahrnehmung abhängig. Peter-André Alt erläutert: „Während das Es wie ein Monolith seinem eigenen Rhythmus folgt, unterliegt das Ich dem Willen zur aktiven Weltgestaltung, ohne dass es aber von fremden Einflüssen gänzlich unabhängig bleibt.“ Sigmund Freud wiederholte hier Einsichten aus seinem Werk „Jenseits des Lustprinzips“ wenn er mit großem Nachdruck betonte, wie stark das um Freiheit ringende Ich von den Mächten des Unbewussten beherrscht wird.

Das Ich dient dem Es und dem Über-Ich

Selbst intellektuelle Arbeit, so erläutert Sigmund Freud im Gegenzug zu Arthur Schopenhauer, untersteht den Leistungen des Vorbewussten und kann nicht autonom gesteuert werden. Und schließlich gehorchen auf moralische Wertungen nicht selten den Impulsen des Unbewussten, wie gerade bei neurotischen Patienten zu beobachten ist. Das Ich muss, so Sigmund Freud, zwei Herren dienen: dem Es, dessen Wünsche es erfüllt, und dem Gewissen, dessen Gebote es befolgt. Diese zweite Instanz nannte Sigmund Freud in einem Aufsatz von 1923 erstmals Über-Ich.

Das Über-Ich ist gleichsam vom Es geprägt, denn es verdankt sich frühkindlichen Erfahrungen. Es hat anders als das Ich keinen direkten Kontakt zur Außenwelt und kann nur über das Ich mit ihr kommunizieren; was es ist, ist es durch das Ich. Peter-André Alt erklärt: „Die Leistung des Über-Ich besteht darin, dass es eine Umarbeitung des Sexualtriebs in eine stärker narzisstische Objektbesetzung veranlasst. Aus dem direkten libidinösen Begehren, das sich auf fremde Personen richtet, wird eine sublimere, auf das Selbst bezogene Variante.“ Quelle: „Sigmund Freud“ von Peter-André Alt

Von Hans Klumbies