Viele Menschen geben heute eine Beziehung viel zu schnell auf

Die Liebe kann einen Menschen verrückt machen. Peter Walschburger ist Professor für Biopsychologie an der FU Berlin. Er kann beschreiben, was dabei mit dem Körper geschieht: „Sich leidenschaftlich zu verlieben, das ist mehr als ein bloße Erfahrung. Das prägt uns auf den Partner, fast so, wie das Kind auf die Mutter geprägt wird.“ Die Hormone spielen verrückt. Das Geheimnisvollen und Fremde am anderen zieht die Verliebten magisch an. Nach der Phase des ersten Kennenlernens verwandelt sich der Reiz des Neuen aber allmählich in Verbundenheit und Nähe. Es kommt zur Ausschüttung von Bindungshormonen. Das Gefühl, im anderen eine Art zweite Heimat gefunden zu haben, stellt sich ein. Die Biologie der Liebe verläuft also in zwei Funktionskreisen: Erst erobert sie sich das Fremde. Und verwandelt es dann in Vertrautheit.

Trennungen werden zum Bestandteil der Liebesbiografie

Peter Walschburger erläutert: „Anthropologisch gesehen ist der Mensch deswegen ziemlich sicher zu beidem veranlagt: treu zu sein und fremdzugehen. Beides liegt in unserer Natur begründet.“ Geht die Liebe zu Ende, verliert der Mensch biochemisch nicht viel. Peter Walschburger ergänzt: „Was uns aber bleiben kann, ist die emotionale Erinnerung an ihren leidenschaftlichen Anfang.“ Die kann sich ein Leben lang in einem Menschen einprägen. Die israelische Soziologin Eva Illouz arbeitet gerade an einem Buch mit dem Titel „Unloving“ – Entlieben.

Eva Illouz will wissen, welche Kräfte der Gesellschaft an einer Partnerschaft rütteln. Auf die Frage, ob sich Menschen heute zu eilig trennen und zu schnell aufgeben, antwortet die Soziologin mit einem klaren Ja. Weil eine Trennung heute mehr als das bloße Beenden einer Beziehung bedeutet. Eva Illouz stellt fest: „Sie ist zu einem Weg geworden, die eigene Identität zu formen. Man findet heraus, wer man ist, indem man sich sagt: Mit dieser Person möchte ich nicht mehr zusammen sein.“ Die Zurückweisung des anderen wird zur Bekräftigung des eigenen Selbst, Trennungen werden zum Bestandteil der Liebesbiografie.

Beziehungen werden zunehmend zur Summe vertraglicher Übereinkünfte

Das Bildungsideal des 19. Jahrhunderts, beschreibt Eva Illouz, habe noch in der Erweiterung des kulturellen und moralischen Horizonts bestanden – inzwischen sei es zu einem Bildungsideal der Gefühle, vor allem der Sexualität geworden. Mit dem Sex als wesentlichen Bestandteil, der sexuellen Erfahrung als Statussymbol. Eva Illouz stellt fest: „Um diese Erfahrungen zu sammeln, muss man eine wachsende Zahl von Partnern generieren.“ Aber auch das Zusammensein mit anderen verändert sich. Eva Illouz fügt hinzu: „Beziehungen werden zunehmend als die Summe vertraglicher Übereinkünfte gesehen.“

Die daran Beteiligten definieren die Erwartungen, mit denen sie in die Partnerschaft gehen, sehr genau. Eva Illouz betont: „Gehen zu können, wenn die eigenen Ansprüche nicht mehr erfüllt werden, gilt als fundamentales Recht.“ Doch ethische Standards für dieses Recht, sich zu trennen, gibt es nicht. Ein Beispiel dafür sieht Eva Illouz in dem Phänomen des „Ghosting“ – sich heimlich aus einer Partnerschaft zu verabschieden, wie ein Geist zu entfleuchen. Keine Ansprüche, keine Moral, keine Normen von außen sollen sich demnach in die Konstrukte der Liebe einmischen. Quelle: Der Spiegel

Von Hans Klumbies