Daniel Goleman erkärt das Zustandekommen eines Geistesblitzes

Woher kommt ein Geistesblitz? Das menschliche Gehirn verfügt über zwei teilweise unabhängige, im Wesentlichen getrennte mentale Systeme. Das eine besitzt eine große Rechenleistung und arbeitet ständig in aller Stille vor sich hin, um Probleme zu bearbeiten und überrascht immer wieder einen Menschen mit einer plötzlichen Lösung für komplexe Grübeleien. Da es jenseits des Horizonts der bewussten Wahrnehmung tätig ist, nimmt man seine Arbeit nicht wahr. Daniel Goleman erläutert: „Dieses System präsentiert und die Früchte seiner umfangreichen Bemühungen in Form von Gedanken, die aus dem Nichts zu kommen scheinen und vielfältige Formen annehmen, vom Leitfaden für die Syntax eines Satzes bis zur Konstruktion komplizierter, vollständiger mathematischer Beweise.“ Diese Aufmerksamkeit im Hintergrund rückt in der Regel nur dann in den Mittelpunkt der Konzentration, wenn etwas Unerwartetes geschieht.

Die „Top-down-Aktivität“ überwacht das „Bottom-up-System“

Die neuronale Verdrahtung dieses Systems liegt zum größten Teil in den unteren Hirnregionen, in den sogenannten subkortikalen Schaltkreisen. Seine Bemühungen machen sich jedoch im Bewusstsein bemerkbar, weil es von unten her den Neocortex informiert, die oberste Schicht des Gehirns. Daniel Goleman erklärt: „Für diese von unten nach oben gerichtete Wirkungsweise des neuronale Apparats aus den tieferen Gehirnschichten hat sich in der Kognitionsforschung die Formulierung „Bottom-up“ eingebürgert.“

Entsprechend gibt es auch eine sogenannte „Top-down-Aktivität“, die von oben nach unten gerichtet ist und sich überwiegend im Neocortex abspielt. Sie überwacht tiefer liegende Vorgänge und kann ihnen ihre Ziele aufzwingen. Es scheint, als wären zwei geistige Apparate tätig. Der „Bottom-up-Mechanismus“ zeichnet sich wie folgt aus: Er verfügt über eine sehr schnelle Gehirntätigkeit, die sich in Millisekunden abspielt. Er ist unwillkürlich, automatisch und ständig aktiv. Er ist auch intuitiv, weil er durch Assoziationsnetzwerke funktioniert. Außerdem ist er impulsiv und von Gefühlen getrieben.

Das „Bottom-up-System“ kann mehrere Aufgaben gleichzeitig ausführen

Dagegen ist der „Top-down-Mechanismus“ langsamer, willentlich und anstrengend. Er ist der Ort der Selbstbeherrschung, die manchmal die Oberhand über automatische Routinetätigkeiten gewinnt und emotional bedingte Impulse zum Schweigen bringen kann. Zudem ist er in der Lage, neue Modelle zu erlernen, neue Pläne zu schmieden und bis zu einem gewissen Grad die Verantwortung für das automatische Handlungsrepertoire eines Menschen zu übernehmen. Daniel Goleman fasst zusammen: „Willentliche Aufmerksamkeit, Willenskraft und absichtliche Entscheidungen laufen von oben nach unten ab; reflexhafte Aufmerksamkeit, Impulse und erlernte Gewohnheiten kommen von unten.“

Wenn sich ein Mensch zum Beispiel entschließt, sich auf die Schönheit eines Sonnenuntergangs einzulassen, sich auf eine interessante Lektüre zu konzentrieren oder mit jemanden ein tiefgründiges Gespräch zu führen, findet eine Verlagerung von oben nach unten statt. Das geistige Auge des Menschen vollführt einen ständigen Tanz zwischen einer reizgetriebenen Fesselung von Aufmerksamkeit und der absichtlichen Konzentration auf bestimmte Dinge, wobei das „Bottom-up-System“ mehrere Aufgaben gleichzeitig ausführen kann.

Kurzbiographie: Daniel Goleman

Daniel Goleman wurde 1946 in Stockton, Kalifornien, geboren. Er lehrte als klinischer Psychologe an der Harvard University, schrieb als Wissenschaftsjournalist für die New York Times und war Herausgeber der Zeitschrift „Psychology Today“. Sein Buch „Emotionale Intelligenz“, das er 1995 veröffentlichte, wurde international zum Bestseller. Zu seinen bekannten Werken zählen unter anderem auch „Emotionale Führung“ und „Soziale Intelligenz“. Daniel Goleman lebt in Massachusetts.

Von Hans Klumbies