Online wird die Verdrahtung des sozialen Gehirns nicht trainiert

Das menschliche Gehirn ist plastisch. Während die Menschen durch ihren Alltag gehen, gestaltet es seine Schaltkreise ständig um. Was jemand auch tut, es trägt dazu bei, dass das Gehirn manche Schaltkreise stärkt, andere aber nicht. Im persönlichen Gegenüber nehmen die sozialen Schaltkreise vielfältige Anhaltspunkte und Signale auf, die bei der Herstellung zwischenmenschlicher Verbindungen helfen, und entsprechend werden die beteiligten Neuronen gemeinsam verdrahtet. Wenn ein Mensch aber tausende von Stunden online verbringt, wird die Verdrahtung des sozialen Gehirns praktisch nie trainiert. Marc Smith, Mitbegründer der Social Media Research Foundation, behauptet: „Unsere Sozialisation läuft zum größten Teil über Maschinen, und damit eröffnen sich sowohl großartige Möglichkeiten als auch viele Bedenken.“ Daniel Goleman erwidert: „>Zum größten Teil< dürfte zwar eine Übertreibung sein, aber sowohl um die Möglichkeiten als auch um die Bedenken toben heftige Debatten, und im Mittelpunkt stehen dabei die Videospiele.“

Actionspiele steigern die visuelle Aufmerksamkeit

Ein nicht abreißender Strom von Studien behauptet, dass Computerspiele den Geist schädigen, und andererseits, dass sie die Gehirnleistung steigern. Wissenschaftler haben jetzt festgestellt, verhält es sich beim Nutzen und beim Schaden von Videospielen ganz ähnlich wie mit den Wirkungen beim Essen. Es kommt einfach darauf an: Manches ist nahrhaft, anderes kann in zu großer Menge giftig sein. Daniel Goleman erklärt: „Bei Videospielen hängen die Antworten davon ab, welches Spiel im Einzelnen welche Gehirnschaltkreise auf eine bestimmte Weise stärkt.“

Daniel Goleman betrachtet einmal die hyperaktiven Autorennen und Ballerspiele etwas genauer: „Die Studien bescheinigen solchen Actionspielen eine gesteigerte visuelle Aufmerksamkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen, ein besseres Verfolgen von Objekten und einen optimierten Wechsel von einer mentalen Tätigkeit zur anderen.“ Viele solche Spiele bieten anscheinend sogar ein stillschweigendes Training in statistischen Einschätzungen – der Spieler spürt, mit welcher Wahrscheinlichkeit er die Feinde angesichts ihrer Zahl und der eigenen Ressourcen schlagen kann.

Bei Hochgeschwindigkeitsspielen herrscht eine große Reizdichte

Spiele, die nach und nach immer schwierigere kognitive Aufgaben stellen – genauere, schwierigere Urteile und Reaktionen mit höherer Geschwindigkeit, vollständig konzentrierte Aufmerksamkeit, eine immer größere Kapazität des Kurzeitgedächtnisses –, treiben im Gehirn positive Veränderungen voran. Der Kognitionsforscher Douglas Gentile vom Media Research Lab der Iowa State University, erläutert: „Wenn man ständig den Bildschirm nach kleinen Unterschieden absuchen muss und dann das Augenmerk auf den fraglichen Bereich richtet, verbessert sich diese Fähigkeit zur Aufmerksamkeit.“

Aber so schränkt Douglas Gentile ein: „Diese Fähigkeiten lassen sich nicht zwangsläufig auf das Leben außerhalb des Bildschirms übertragen.“ Durch Hochgeschwindigkeitsspiele, so meinen einige Experten, können sich manche Kinder an eine Reizdichte gewöhnen, die derjenigen im Klassenzimmer ziemlich unähnlich ist – und das ist eine Disposition, die zu mehr als der nur üblichen Langeweile in der Schule führen kann. Videospiele tragen also kaum dazu bei, die Konzentration auf einen Informationsgehalt aufrechtzuhalten, der sich allmählich weiterentwickelt. Quelle: „Konzentriert Euch!“ von Daniel Goleman

Kurzbiographie: Daniel Goleman

Daniel Goleman wurde 1946 in Stockton, Kalifornien, geboren. Er lehrte als klinischer Psychologe an der Harvard University, schrieb als Wissenschaftsjournalist für die New York Times und war Herausgeber der Zeitschrift „Psychology Today“. Sein Buch „Emotionale Intelligenz“, das er 1995 veröffentlichte, wurde international zum Bestseller. Zu seinen bekannten Werken zählen unter anderem auch „Emotionale Führung“ und „Soziale Intelligenz“. Daniel Goleman lebt in Massachusetts.

Von Hans Klumbies