Heimatstolz und Patriotimus dürfen nicht verwechselt werden

Heimatstolz und Patriotismus ist eine reizvolle, gefährliche und durch die Geschichte leidvoll beglaubigte desaströse Kombination zweier Ideen. Christan Schüle weiß: „Der Stolz auf eine Heimat ist eine leerlaufende Nichtigkeit, weil Heimat nichts außer dem Selbstzweck leistet, da zu sein, und das ewiglich.“ Genauso gut könnte man stolz auf den Himmel oder eine Felsformation sein. Patriotismus dagegen muss keineswegs Heimatstolz heißen. Der Patriot ist ja ein Mensch, der gegenüber seinem Vaterland Loyalität empfindet, manchmal Treue, manchmal den wohligen Schauer der Vertrautheit, jedenfalls verbindliche Zugehörigkeit, gemäß dem unverdächtigen Cicero: „Patria est, ubicumque est bene.“ Übersetzt: „Wo es gut geht, da ist Vaterland.“ Zeitgemäß variiert: „Wo es mir gut geht, da ist meine Heimat.“ Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

Patriotismus ist kulturell bedingt

Christian Schüle erläutert: „Jenes Wohlgefühl ist nicht zu verachten und steht in keinerlei Beziehung als Mittel zum Zweck einer Instrumentalisierung der Heimat als politikfähigen Herrschaftsanspruch über andere mit einem selbst erteilten Ausgrenzungsmandat gegen das Fremde.“ Der vermeintliche Stolz auf ein Vaterland oder einen Vaterboden ist keine genetische Rechtfertigung, immer schon, über Traditionen, an diesem oder jenen Ort verwurzelt zu sein.

Vielmehr, so lehrt das Leben, spürt der Patriot sich über die Konstruktion von Normen, Sitten, Sprache und Narrative, über Sängervereine, Fastnachtsbräuche, Regionaldichtung. Patriotismus ist also nicht national, sondern kulturell bedingt. In den Jahren 2008 bis 2011 und 2013 bis 2015 war Deutschland das beliebteste Land der Welt. Wäre die Bundesrepublik ein Subjekt, wäre sie eine gespaltene Persönlichkeit. Seit über 70 Jahren klaffen Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinander, und bis heute lässt sich sozialpsychologisch von kognitiver Dissonanz sprechen.

Deutschland isoliert sich keineswegs auf neo-imperialistische Art

Das Selbstverständnis der Deutschen zu sich und ihrem Land war und ist gestört; Einstellungen, Meinungen und Wünsche bezüglich Deutschlands in der Welt scheinen unvereinbar. Christan Schüle vermutet: „Womöglich macht ihre bedenkenschwere Demut die Deutschen für viele Nichtdeutsche sympathisch – dieses Ringen mit sich und der Zukunft der Vergangenheit.“ Für manche ist die handelsübliche Selbstzerfleischung eine „deutsche Kernkompetenz“; das ideologische Spießertum, notierte einmal der Publizist Reinhard Mohr, sei der Reflex eines eigentümlichen Selbsthasses, der die Gesellschaft in der man lebt, einschließe.

Wenn Tabus beiseitegeschoben werden, verkümmern sie gern auf alle Zeit im einmal gewählten Abseits. Nach Lage der Dinge stehen die Deutschen keineswegs mit geschwollener Brust an der Schwelle zu einer neuen Ära deutscher Hegemonie in Europa. Alle Versuche der Bundesregierung, Friedensabkommen zu erreichen, Versöhnung zu stiften, Feuerpausen zu arrangieren, lassen den Schluss zu, dass sich Deutschland keineswegs auf neo-imperialistische Art isoliert und es sich mit dem Rest der Welt vermiest. Quelle: „Heimat“ von Christian Schüle

Von Hans Klumbies