Geldgier ist in der Plutokratie legitim

In der Plutokratie – anders als in der Demokratie – ist schrankenlose Geldgier legitim. Im Falle von Donald Trump sogar legitimierend. Und Plutokraten dürfen die öffentliche Meinung herrisch ignorieren. Roger de Weck stellt fest: „So faszinierend Milliardäre für die Medien sind, so autoritär ist ihr Kommando. Selbst wenn die politische Korrektheit hegemonial wäre, wie ihre Kritiker jammern, könnte sie gegen die Oligarchie nichts ausrichten.“ Wie wenig kulturelle Hegemonie bewirkt, erfuhren nach ihrer Revolte vom Mai 1968 die linken Studenten. Von ihnen hatte einige den italienischen kommunistischen Philosophen Antonio Gramsci gelesen. Den 68ern gelang es damals – breiter als heute den Aktivisten der Korrektheit –, die Begriffe zu besetzen. Ihr Denken sickerte in viele Kreise. Sie hatten den Löwenanteil an der öffentlichen Debatte. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Amartya Sen kennt die globalen Wurzeln der Demokratie

Die Demokratie wir oft als eine typisch westliche Idee hingestellt, die der nicht-westlichen Welt fremd ist. Die Probleme vor dem der Westen heute im Nahen Osten und überall sonst steht, schätzt man laut Amartya Sen vollkommen falsch ein. Oft wird bezweifelt, dass es den westlichen Ländern gelingen wird, dem Irak oder einem sonstigen Land die Demokratie „aufzuzwingen“. Für Amartya Sen besteht jedoch nicht der geringste Zweifel daran, dass die modernen Begriffe von Demokratie und öffentlichem Diskurs stark von europäischen und amerikanischen Analysen und Erfahrung beeinflusst wurden. Insbesondere von der geistigen Kraft der europäischen Aufklärung. Dazu gehören die Beiträge von Demokratietheoretikern wie Marquis de Condorcet, James Madison, Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Danielle Allen fordert eine vernetzte Gesellschaft

Laut Danielle Allen benötigt man politische Rahmenbedingungen, die dazu beitragen, dass man eine „vernetzte Gesellschaft“ erreicht. Nur so kann das Ideal „sozialer Verbundenheit“ entstehen. In diesem Rahmen gibt es kulturelle Gewohnheiten, die zum individuellen Wohlergehen beitragen. Zudem bringen sie die soziale Verbundenheit aktiv zur Geltung. Sozialkapital-Forscher unterscheiden drei Arten von sozialen Beziehungen: Bonding, Bridging und Linking. Danielle Allen erklärt: „Bindungen sind jene engen Beziehungen, die Verwandt, Freunde und sozial ähnliche Personen zusammenhalten.“ Brücken werden in jenen loseren Beziehungen gebaut, die Menschen über demografische Spaltungen hinweg miteinander verbinden. Und Verbindungen sind schließlich die vertikalen Beziehungen zwischen Menschen auf unterschiedlichen Stufen einer Statushierarchie. Danielle Allen ist James Bryant Conant University Professor an der Harvard University. Zudem ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Die Nationalstaaten beuten die Natur aus

Die Werbung vieler Unternehmen feiert eine globalisierte Welt. Aber die Idee von der größeren Reichweite ihrer Geschäftsbeziehungen umfasst nur einen Aspekt der Globalisierung. Judith Butler weiß: „Nationalstaatliche Souveränität mag im Schwinden begriffen sein, aber neue Nationalismen halten an diesem Rahmen fest.“ Die Regierungen der Vereinigten Staaten sind nur schwer von der realen Bedrohung der lebensfähigen Welt durch den Klimawandel zu überzeugen. Das liegt daran, dass ihre Rechte zur Erweiterung von Produktion und Märkten weiterhin im Rahmen des Nationalstaates konzentriert bleiben. Dies trägt zur Ausbeutung der Natur und der Vormachtstellung des Profits bei. Sie rechnen vielleicht gar nicht mit der Möglichkeit, dass ihr Handeln Auswirkungen auf alle Regionen der Welt hat. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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Zuwanderung muss nicht immer zu Widerstand führen

Die Beziehung zwischen Zuwanderern und fremdenfeindlichen politischen Bewegungen ist nicht immer ein direkte. Anne Applebaum erläutert: „Zum einen muss Zuwanderung selbst aus Ländern mit einer anderen Religion oder Kultur nicht immer eine Gegenreaktion auslösen. In den 1990er Jahren kamen muslimische Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Ungarn. Dies hat nicht allzu viel Reibung verursacht.“ Auch in Polen stießen muslimische Flüchtlinge aus Tschetschenien nicht auf nennenswerten Widerstand. Die Vereinigten Staaten haben in den vergangenen Jahren Flüchtlinge zum Beispiel aus Russland, Vietnam, Haiti und Kuba aufgenommen. Dies löste keine größeren Diskussionen aus. Der Widerstand gegen Zuwanderer lässt sich auch nicht immer auf ihren mangelnden Integrationswillen schieben. Anne Applebaum ist Historikerin und Journalistin. Sie arbeitet als Senior Fellow an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University.

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Isaiah Berlin prägte den Freiheitsbegriff

Isaiah Berlins Diskussion des Freiheitsbegriffs ist von zwei zentralen Konfliktlinien geprägt. Einerseits geht es um den Konflikt von individueller und kollektiver Freiheit, andererseits um den Widerstreit zwischen Herrschaft und Freiheit. Katia Henriette Backhaus ergänzt: „Zudem unterscheidet sich der Anspruch der sogenannten negativen und positiven Freiheit mit Blick auf die Spezifikation.“ Oder, anders gesagt, die Offenheit der jeweiligen Spielräume und Konsequenzen der Freiheit. In diesem Sinne handelt es sich also tatsächlich um Argumente für die Differenzierung zweier grundverschiedener, unvereinbarer Einstellungen zu den Zielen des Lebens. Im Zentrum steht dabei ein vom Staat potentiell bedrängtes, seiner Natur und seinem Wesen nach einem privaten Raum bedürftigen, Individuum. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Mahatma Gandhi kämpft gegen Ungerechtigkeit

Mohandas Karamchand Gandhi (1869 – 1948) kam als Sohn hinduistischer Eltern im westlichen Indien zur Welt. Später bekam er den Ehrentitel „Mahatma“. Klaus-Peter Hufer fügt hinzu: „Er studierte in London Jura, wurde Anwalt und arbeitete zunächst in Südafrika.“ Dort setzte er sich gegen die Rassendiskriminierung und für die Rechte der indischen Einwanderer ein. Dort entwickelt er das „Satyagraha“ („Macht der Wahrheit“), womit er den passiven Widerstand und den zivilen Ungehorsam gegen Ungerechtigkeit begründete. „Satya“ bedeutet Wahrheit und Liebe. Beides sind Attribute der Seele. „Agraha“ ist Stärke oder Kraft. „Satyagraha“ ist also Stärke, die aus Wahrheit, Liebe und Gewaltlosigkeit geboren ist. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Ray Dalio erforscht die neue Ordnung der Welt

Die Weltordnung verändert sich derzeit rasant. Und zwar in so verschiedener maßgeblicher Hinsicht, wie es in der jüngsten Vergangenheit noch nie der Fall war, aber schon viele Male davor. Die Fallbeispiele und Mechanismen, die ihnen zugrunde liegen, hat Ray Dalio erforscht. Denn nur so kann er sich eine Vorstellung von der Zukunft bilden. Zuerst beschreibt er aber die Kräfte, die ihm über die letzten 500 Jahre aufgefallen sind bei der Analyse des Aufstiegs und Niedergangs der letzten drei Reservewährungsreiche. Zu ihnen zählt er das niederländische, das britische und das amerikanische Reich. Daneben existieren sechs weitere maßgebliche Reiche wie Deutschland, Frankreich, Russland, Indien, Japan und China. Zudem betrachtet er die großen chinesischen Dynastien bis hin zur Tang-Dynastie etwa um das Jahr 600. Ray Dalio ist Gründer von Bridgewater Associates, dem weltgrößten Hedgefonds. Er gehört mit zu den einflussreichsten Menschen der Welt.

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Alles ist ein sprachliches Konstrukt

Eine neue Wirklichkeit verändert die Sprache. Kann umgekehrt die Sprache ebendiese Wirklichkeit, die sie abbildet, umgestalten? Verwandelt man tatsächlich die Welt, indem man die Dinge anders benennt und dann auch anders wahrnimmt? Roger de Weck antwortet: „Nicht nur in den Naturwissenschaften wirkt der Beobachter auf das Beobachtete ein. Überhaupt sei alles ein sprachliches Konstrukt, befand der Strukturalist Roland Barthes.“ Aber weder die Frauenmehrheit noch die benachteiligten Minderheiten werden die Gleichstellung allein dank der politisch korrekten Sprache schaffen. Sie ist mehr eine wertschätzende Etikette als eine Machtstrategie. Ist politische Korrektheit unpolitisch? Ein differenziertes Vokabular ist die gute Alternative zur Stimmlage von Wutbürgern wie zum lehrsamen Tonfall einiger Überkorrekter. Respektvoller Austausch mit ermutigten Zeitgenossen ist eine Voraussetzung liberaler Demokratie. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Der Staat übt rassistische Gewalt aus

Nach der Auffassung des Amerikanisten Chandan Reddy gründet der Staat in rassistischer Gewalt. Diese übt er nach wie vor systematisch gegen Minderheiten aus. In den Vereinigten Staaten und anderswo bezeichnet die Polizei People of Colour als „gewalttätig“. Selbst da, wo sie einfach weggehen oder weglaufen, sich beschweren wollen oder einfach nur tief schlafen. Judith Butler kritisiert: „Es ist schon sehr merkwürdig und empörend zu sehen, wie man Gewalt unter solchen Umständen rechtfertigt. Diejenigen, auf die sie abzielt, müssen als Bedrohung, selbst als Träger realer Gewalt dargestellt werden, damit tödliche Polizeieinsätze als Selbstverteidigung erscheinen können.“ Hat die fragliche Person überhaupt nichts sichtbar Gewalttätiges getan, galt sie einfach nur als gewalttätig. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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Die Gewaltenteilung führt zur Demokratie

Menschen bleiben, auch und gerade in hohen Machtpositionen, endliche Wesen, denen die Allmacht zu Kopfe steigen und sie selbst und andere zerstören kann. Auch gibt es in der Moderne keine bruchlose Homogenität mehr zwischen Individuum und Staat. Diese gab es, genau besehen, auch nicht in der antiken Demokratie. Silvio Vietta erklärt: „Mithin braucht die Staatstheorie eine Theorie der Gewaltenteilung.“ Diese stellt sicher, dass Menschen, die Menschen kontrollieren, auch von Menschen gewählt wie abgewählt werden können. Und das ist dann die wahre Geburtsstunde der modernen Demokratie. Bereits John Lockes „Zweite Abhandlung über die Regierung“ arbeitet eine rudimentäre Gewaltenteilung aus. Er bereitet damit die liberal-demokratische Staatsform vor. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Auch Linkspopulisten untergraben die Demokratie

Rechts- und Linkspopulisten mögen nicht ganz Unrecht haben, wen sie auf ihre Weise von der Sezession bestimmter Eliten sprechen. Sie haben jedoch sicher Unrecht, wenn sie alle Konflikte auf Fragen der Zugehörigkeit reduzieren oder jeden Dissens mit ihnen per se für illegitim halten. Jan-Werner Müller stellt fest: „Wegen dieses Impulses sind echte Linkspopulisten gleichfalls geneigt, demokratische Institutionen zu untergraben.“ Dabei handelt es sich um politische Akteure, die auf der Basis der einen oder anderen linksgerichteten Ideologie einen Alleinanspruch auf die Vertretung des Volkes erheben. Schließlich gibt es keinen Grund, die politischen Grundrechte ihrer Gegner zu schützen. Denn es ist doch klar, dass diese eigentlich gar keinen Platz im demokratischen Spiel verdienen. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Politische Gleichheit erfordert Gegenseitigkeit

Eine Komponente von politischer Gleichheit betrifft egalitäre Praktiken der Gegenseitigkeit. Danielle Allen erläutert: „Für gerechte menschliche Beziehungen ist die Art von Gleichheit erforderlich, die sich in Gegenseitigkeitsprinzipien äußert.“ Solche Prinzipien bilden die Grundlage für Interaktionen. Durch diese erlangen sowohl Freude als auch Mitbürger in ihren Beziehungen zueinander gleiche Handlungsmacht. Folgendes gilt sowohl für die Freundschaft als auch für die Politik. Alle Beteiligten möchten über einen Handlungsspielraum verfügen, der keine Einschränkungen durch andere erfährt. Das Erlangen von Freiheit beruht auf einer egalitären Verpflichtung zur ständigen Neujustierung, mit deren Hilfe Beeinträchtigungen behoben werden können. Die Verfahren zur Problemlösung eines freien Volkes stützen sich auf diese Art von egalitärer Grundlage, auf Gewohnheiten der Gegenseitigkeit. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Anne Applebaum analysiert den politischen Wandel

Der politische Wandel ist seit Langem Gegenstand des Interesses von Akademikern und Intellektuellen. Dazu zählen ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung, die Kehrtwendung der öffentlichen Meinung oder der Einbruch der Wählerschaft einer Partei. Anne Applebaum weiß: „Es gibt eine umfangreiche Literatur zu Revolutionen und ein eigenes Untergenre, das sie vorhersagen soll. Die meisten Untersuchungen stützen sich auf quantifizierbare wirtschaftliche Messgrößen, etwa die Ungleichheit oder den Lebensstandard.“ Dabei geht es darum zu prognostizieren, wie groß das wirtschaftliche Leid, wie nagend der Hunger und wie verbreitet die Armut sein muss, um eine Reaktion zu provozieren, die Menschen auf die Straße zu treiben und Risiken auf sich nehmen zu lassen. Anne Applebaum ist Historikerin und Journalistin. Sie arbeitet als Senior Fellow an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University.

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Auf sprachliche Eskalation folgt wütender Protest

Als Manuel Macron zu Jahresbeginn 2022 davon gesprochen hat, Ungeimpften „auf die Nerven zu gehen“, hat er sprachliche oder strukturelle Gewalt gegen seine Staatsbürger angewendet. Als die Beschimpften sich mit Straßenprotesten dagegen wehrten, unterband man den Protest. Man verwies dabei auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Ulrike Guérot stellt fest: „Die – bewusste oder entglittene? – sprachliche Eskalation generiert also wütenden Protest, der dann der Vorwand ist, um staatlicherseits zu prügeln.“ Die Polizei wird zum Anwalt eines Systems, das sich im Recht glaubt. Ein Teufelskreis. Ein System, das strukturelle Gewalt anwendet, gewinnt immer. Zuvor war über Monate die Kommunikation zwischen Maßnahmenbefürworter und Gegner längst gerissen. Die einen haben eine scheinbare Mehrheit, die Wahrheit und die Moral sowieso. Seit Herbst 2021 ist Ulrike Guérot Professorin für Europapolitik der Rheinischen-Friedrichs-Wilhelms Universität Bonn.

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Im Rechtsstaat ist Freiheit ein Angebot

Eine Gesellschaft erträgt die krassesten Unterschiede, weil alle frei sind und deshalb jeder Bürger bestimmte Unterschiede anstrebt. Paul Kirchhof weiß: „Der soziale Rechtsstaat allerdings sichert ähnliche Freiheitsbedingungen im Elementaren für jedermann.“ Freiheit ist ein Angebot. Auch die Demokratie ist darauf angelegt, dem Bürger die Freiheit der Mitwirkung im Staat zu belassen. Sie ist aber auch darauf angewiesen, dass der Bürger sich aus eigenem Freiheitsverständnis an Wahlen, Abstimmungen, auch an der öffentlichen Debatte beteiligt. Der freiheitliche Staat setzt sein Vertrauen in die Freiheitsfähigkeit und Freiheitsbereitschaft der Menschen. Freiheit ist zudem das Recht zur Beliebigkeit, soweit die kleinen Alltagsfreiheiten wahrgenommen werden. Der Mensch entscheidet nach eigenem Gutdünken. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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In einem Staat entscheidet die Kommunikation

Das deutsche Volk ist, wie jedes andere Volk, vor allem eine Lebensgemeinschaft, eine Kommunikationsgemeinschaft und eine Haftungsgemeinschaft. Die Kinder von Türken und anderen Ausländer sind im Allgmeinen keine deutschen Staatsbürger. Selbst dann, wenn sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Aber sie gehören zweifellos zur Kommunikationsgemeinschaft der Deutschen, weil sie mit ihnen und in Deutschland leben. Herkunft, Sprache oder auch die gemeinsame Geschichte gehören nicht mehr unbedingt zu den Kennzeichen der jeweiligen Gemeinschaft im Staat. Michael Wolffsohn ergänzt: „Doch dieser Staat bleibt trotz aller internationalen Verflechtungen der entscheidende Bezugspunkt der Kommunikation.“ Wenn etwas Erfreuliches passiert, stößt sich niemand an der gemeinsamen Haftungsgemeinschaft. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Demokratien leben von kollektivem Lernen

Ein weiteres Merkmal politischer Gleichheit ist, was Danielle Allen als epistemischen Egalitarismus bezeichnet. Wie alle politischen Systeme sind Demokratien auf erfolgreiche, kollektive Praktiken des Lernens und des Wissensmanagement angewiesen. Nur so können die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Im Unterschied zu anderen Regierungsformen sind ihnen Verfahren zugänglich, welche die kollektive Entscheidungsfindung stärken. Denn sie können auf die Wissensressourcen der gesamten Bürgerschaft zurückgreifen. Daniele Allen stellt fest: „Menschen sind Schwämme, die Informationen über ihre Umwelt aufnehmen. Manche Schwämme sind besser als andere, aber saugfähig sind wir alle.“ Alle Menschen sind insofern gleich geschaffen, dass sie alle zum Aufsaugen bestimmt sind. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Das Antikorrekte lebt vom Unterschwelligen

Das Korrekte kennt Übertreibungen, das Antikorrekte lebt vom Unterschwelligen. Der reaktionäre Kampf gegen die politische Korrektheit setzt auf das Unausgesprochene, den Subtext. Denn der insistiert, was viele Konservative zwar denken, aber nicht allzu deutlich formulieren möchten. Der „Gutmensch“ ist gefährlicher als der Brutalo, die Feministin schlimmer als der Diskriminierer oder Belästiger, Antirassisten sind Rassisten. Ihr Antirassismus ist Rassenhass auf weiße Männer. Roger de Weck ergänzt: „Das wirkliche Opfer ist der früher dominante und heute missachtete Mann. Ihm die Führung streitig zu machen, bringt jedoch nicht Gleichstellung, sondern Unfreiheit.“ Emanzipation stürzt die Frauen in einen repressiven Genderwahn, die Afroamerikaner in eine kulturrassistische Gefangenschaft und verzagte Weiße in Trumps Arme. Derlei Botschaften verkünden die wenigsten Reaktionäre und Konservativen rundheraus. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Eine Differenz ohne Herrschaft ist möglich

In der Welt der Ökonomie liegt der Schwerpunkt der politischen Entscheidungsfindung im Allgemeinen nicht auf Grund und Boden, sondern auf Arbeitskraft und Kapital. Danielle Allen stellt sich dabei die Frage, wie eine Ökonomie aussehen muss, die für Differenz ohne Herrschaft sorgt. Und wie man die gleichen Grundfreiheiten schützen könnte. Das Streben nach Differenz ohne Herrschaft macht ihrer Meinung nach auch in der Welt der Ökonomie nicht zwangsläufig die Schaffung von neuen politischen Programmen und oder Maßnahmen notwendig. Viele der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Ansätze sind nach Maßgabe eines Bildes von Gerechtigkeit strukturiert, das sein Augenmerk in erster Linie auf die Verteilung materieller Güter richtet. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Es gibt nicht die eine Wahrheit

In den letzten zwei Jahren der Coronakrise sind viel Unwörter wie etwa Inzidenz, R-Wert oder 2G in den Lebensalltag gelangt. Sie prägen und regulieren seither das Zeitgeschehen. Ulrike Guérot erklärt: „Seit Neuestem bestimmen zwei Maximen das demokratische Miteinander, die in Demokratien eher unüblich sind: von der Wahrheit und der Pflicht.“ Der demokratische Staat geht – im Gegensatz zu totalitären Regimen oder Gottesstaaten – nicht davon aus, dass es eine Wahrheit gibt.“ Im Gegenteil: Er garantiert Glaubensfreiheit und verhandelt unterschiedliche Meinungen zu einem Thema in einem Diskurs. Die Pflicht ist in einer Demokratie in erster Linie die Einhaltung des Rechts. Das geltende Recht, vor allem die Grundrechte der Bürger, wurden wegen Corona für lange Zeiträume stark eingeschränkt. Seit Herbst 2021 ist Ulrike Guérot Professorin für Europapolitik der Rheinischen-Friedrichs-Wilhelms Universität Bonn.

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Der klassische Terrorismus hatte zwei Ausprägungen

Den „klassischen“ Terrorismus hat es in Europa seit dem 19. Jahrhundert gegeben. Er hatte vor allem zwei Ausprägungen. Nämlich eine sozialrevolutionäre Variante, wie sie im zaristischen Russland entstanden ist, und eine nationalseparatistische, etwa im Baskenland in Form der Untergrundorganisation ETA. Diese kämpfte mit Gewalt für eine Abspaltung der nordspanischen Region vom Mutterland. Edgar Wolfrum ergänzt: „Was des einen Terrorist war, war oftmals des anderen Freiheitskämpfer.“ Seit den 1970er Jahren kam eine äußerst gewalttätige Variante hinzu. Zum Beispiel in Gestalt der deutschen „Roten Armee Fraktion“ (RAF) oder den italienischen „Brigate Rosse“. Oft verbanden sich diese Gruppierungen mit dem internationalen Terrorismus der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Gewaltakte und Morde zielten auf herausgehobenen Personen der politischen Klasse oder der gesellschaftlichen Elite. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

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Reaktionäre arbeiten mit Schuldzuweisungen

Autoritäre und Nationalisten transformieren die Politik in Narrative der Schuldzuweisung. Roger de Weck erläutert: „An allem sind alle anderen schuld, dieser Refrain erschallt von den USA bis Ungarn. Reaktionäre Politik braucht die Endlosschleife des Schmähens unguter Ausländer, unbelehrbarer Feinde, unfairer Kritiker, unfähige Eliten, unheimliche Drahtzieher.“ Andersdenkende sind automatisch Verräter, weil das neurechte Machtdenken einzig Loyale und Illoyale kennt, Gefügige und Schädlinge, Rückendeckung oder Dolchstoß. Und das hat die politische Sprache mit Hass erfüllt, aber solche Aggressivität scheint je länger, desto weniger zu entrüsten. „Der Hasser lehrt uns immer wehrhaft bleiben“, heißt es in Goethes Trauerspiel „Die natürliche Tochter“. Doch auch die Gleichgültigkeit ist ein Kind des Hasses. Der gesunde Schutzinstinkt gegen diese allenthalben erhältliche Droge schwindet – Hass-Dealer setzen bewusst auf diesen Gewöhnungseffekt. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Der Liberalismus orientiert sich am Ideal der Freiheit

Der Liberalismus sieht seine Hauptaufgabe in der Beschränkung der Zwangsgewalt jeder Regierung. Dementsprechend verantwortet er einen zuverlässigen Inhalt der Gesetze. In der Demokratie dagegen geht es im Grundsatz um das Verfahren, in dem man bestimmt, was als Gesetz zu gelten hat. Also geht es unter anderem um die Regierungsform der Herrschaft der Mehrheit. Friedrich A. Hayek versteht den Liberalismus als eine politische Lehre, die Ziele und Aufgaben des Staates vorschlägt. Dabei orientiert er sich am Ideal der Freiheit. Katia Henriette Backhaus ergänzt: „Demokratie ist für ihn hingegen ein politisches Verfahren, ein Mittel, um die Meinung der Mehrheit zur Geltung zu bringen.“ Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main im Bereich der politischen Theorie promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Rechte Parteien verbrüdern sich

Bis vor Kurzem arbeiteten die Führungen der nationalistischen und identitäre Parteien Europas kaum zusammen. Anders als die Christdemokraten und Konservativen, die mit ihrer Zusammenarbeit die Europäische Union schufen, sind die nationalistischen Parteien in ihrer jeweils eigenen Geschichte verwurzelt. Anne Applebaum weiß: „Die französischen Rechte hat ihre fernen Ursprünge im Vichy-Regime. Die nationalistische Rechte Italiens stand lange unter dem Einfluss der geistigen Erben von Benito Mussolini.“ Darunter befand sich auch die Enkelin des Diktators. Die polnische PiS begründet sich im Flugzeugabsturz von Smolensk und ihrem eigenen historischen Wahn. Versuche der Verbrüderung scheiterten oft an alten Streitfragen. Die Beziehung zwischen der italienischen und der österreichischen Rechten ging in die Brüche, als die Rede auf die Zugehörigkeit von Südtirol kam, das früher österreichisch war. Anne Applebaum ist Historikerin und Journalistin. Sie arbeitet als Senior Fellow an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University.

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