Vielen Menschen fehlt es an Muße und an Bildung

Es ist paradox: Obwohl der moderne Mensch aufgrund seiner hohen Produktivität, durch unzählige raffinierte und zunehmend intelligente Technologien unterstützt, mehr Zeit frei von den Zwängen unmittelbarer Erwerbstätigkeit verbringen könnte, macht er den Eindruck eines gehetzten Tieres. Der moderne Mensch muss ständig in Bewegung sein, darf nie innehalten, kann keinen Stillstand dulden, ist hilflos dem Beschleunigungstaumel einer Entwicklung ausgesetzt, die er weder kontrolliert, noch wirklich versteht. Konrad Paul Liessmann ergänzt: „Das ständig präsente Gefühl, von Märkten, Innovationen, vom Wettbewerb und der Konkurrenz getrieben zu sein, die Angst, sofort zurückzubleiben und alles zu verlieren, gönnte man sich nur eine Pause, die fatalistische Vorstellung, dass man nicht der Gestalter der Zukunft sei, sondern nur auf die Herausforderungen reagieren könne […] – all dies sabotiert jeden Gedanken an Phasen der Ruhe und der Besinnung.“ Konrad Paul Liessmann ist Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien und arbeitet zudem als Essayist und Publizist.

Weiterlesen

Nur der Mensch kann die Herrschaft über sich selbst und die Welt gewinnen

Der Mensch beobachtet, wie die Vögel fliegen, mit Leichtigkeit in den Himmel aufsteigen und sich wieder herabfallen lassen. Er bewundert diese Kunst. Er staunt. Doch dann macht er sich bewusst, dass er die Welt zwar nicht von oben herab sehen, wohl aber in seinem Denken an die Vergangenheit erinnern und aus Erfahrung in die Zukunft voraussehen kann. Paul Kirchhof fügt hinzu: „Er kann sprechen und die Welt in Begriffen begreifen. Er kann Gesetzmäßigkeiten der Natur und Gesetze menschlichen Verhaltens erkennen und so die Herrschaft über sich selbst und die Welt gewinnen.“ Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Weiterlesen

Aristoteles zählt die Dichter zu den besten Lehrern des Volkes

Aristoteles zählt in Übereinstimmung mit der griechischen Tradition die Dichter zu den besten Lehrern des Volkes. Dabei spricht er ihnen laut Otfried Höffe nachdrücklich die Aufgabe zu, starke emotionale Wirkungen hervorzurufen. Aristoteles billigt der Dichtung eine eigene vorrangig nicht intellektuelle, sondern affektive Form von Rationalität zu, was auf ein Plädoyer für ein erhebliches Maß an ästhetischer Autonomie hinausläuft. Der griechische Philosoph befasst sich mit dem Wesen der Dichtung, mit ihren verschiedenen Gattungen und mit ihrer anthropologischen Grundlage. Dabei sieht er das Wesen in jener Mimesis, Nachahmung, die nicht etwa täuschende Echtheit sucht. Vielmehr besagt die Mimesis, dass selbst eine geniale Fiktion an vorgängig existierende Wirklichkeit, insbesondere an die emotionale, soziale und politisch Natur und Kultur des Menschen, zurückgebunden bleibt. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Im Leben ist der Wandel allgegenwärtig

Laut Seneca kann es hilfreich sein, ein Missgeschick als eine Übung in Duldsamkeit, Selbstbeherrschung und Tapferkeit zu verstehen und anzunehmen: „Die Philosophie hat eine unglaubliche Kraft, alle Gewalttätigkeit des Zufalls zuschanden zu machen … Manchen Geschossen nimmt sie alle Wucht und fängt sie spielend in ihrem bauschigen Gewande auf, andere zerstreut sie und lenkt sie auf die Entsendenden zurück.“ Albert Kitzler weiß: „Hilfreich kann es auch sein, daran zu denken, dass auch Missgeschicke und Unglück genauso wie Glücksfälle und gute Lebensphasen vergänglich sind und dem Wandel unterliegen.“ Und keiner bleibt von ihm verschont. Zudem sollte man gerade dann sich im Ertragen von Missgeschicken üben, wenn man sich in einer guten Lebensphase befindet. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

Weiterlesen

Der Geist gleicht dem Wind

Der Geist ist für Uwe Böschemeyer das Wichtigste im Menschen. Der Geist gleicht dem Wind: „Auch den Geist sehe ich nicht, ich sehe nur, war er durch mich bewegt. Mir kommen Ideen, mir kommt die Gewissheit, die Idee durchsetzen zu können, mir kommt die Kraft, sie zu verwirklichen. Ich verwirkliche sie in der Tat.“ Der Geist ist da, ist gegenwärtig. Das kann niemand bezweifeln, obwohl ihn niemand sieht. Der Geist und der Wind – sie kommen aus Räumen, die man nicht erkennt, sie ziehen zu Räumen, die man nicht sieht. Jetzt sind sie da, spürbar, fühlbar, mächtig, sind dichteste Wirklichkeit. Doch fassen, gar erfassen, kann man sie nicht. Uwe Böschemeyer ist Rektor der Europäischen Akademie für Wertorientierte Persönlichkeit und Leiter des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse in Salzburg.

Weiterlesen

Selbst- und Nächstenliebe bilden eine Einheit

Obwohl in der Geschichte der Ethik von Cicero bis Friedrich Nietzsche immer wieder Argumente vorgetragen wurden, die es verbieten sollten, Egoismus und Altruismus als Gegensätze zu behandeln, herrscht im alltäglichen Urteil wie auch in öffentlichen Debatten die Neigung vor, in beiden eine Art ewiger Alternative auszumachen. Volker Gerhard kann das verstehen, wenn er es mit den individuellen und kollektiven Erscheinungsformen des persönlichen, ökonomischen und politischen Egoismus zu tun hat. Volker Gerhardt schränkt allerdings ein: „Blickt man hingegen auf die Entwicklung einzelner Individuen und stellt sie in Relation zu dem was wir überhaupt über den Umgang mit Neugeborenen, heranreifenden Kindern und Jugendlichen sagen können, wird man das allgemeine Urteil nicht zurückhalten können, dass ohne den Altruismus der Eltern und ohne den Egoismus ihrer Schützlinge gar nichts geht.“ Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Weiterlesen

Der Homo sapiens steht vor dramatischen Umbrüchen

Während die Industriegesellschaft materiell auf dem fossilen Brennstoff beruhte, wurde sie moralisch von den christlich-antiken Tugenden befeuert, die eine disziplinierte Arbeitsgesellschaft hervorbrachte. Zwei Ressourcen – das Öl und die Tugenden –, die sich nun scheinbar erschöpfen. Reimer Gronemeyer ergänzt: „Vor uns die vielen Krisen, vom globalen Klimawandel bis zur weltweit anschwellenden Migration. Vor uns dramatische Umbrüche: Künstliche Intelligenz und Automatisierung, Algorithmierung des Alltags und Menschenverbesserung.“ Auf dem Programm steht die Optimierung des Homo sapiens zum Einzelkämpfer mit perfektionierter DNA. Eingehüllt in eine digitale Schutzweste, wird wohl nur noch seine Seele durch Softwareprogramme abgelöst werden müssen. Was da jetzt designt wird, ist eine neue Kreatur, welche die Koalition zwischen Industriegesellschaft und alten Tugenden überwunden haben wird. Reimer Gronemeyer ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, wo er 2018 zum Ehrensenator ernannt wurde.

Weiterlesen

Eros ist für Platon die blanke Liebesleidenschaft

Platon ist der Philosoph des Eros. Doch was Eros ist, versteht man erst dann, wenn man mit Platons Deutung des Erotischen vertraut geworden ist. Christoph Quarch erklärt: „Dankenswerter Weise hat uns Platon gleich in zweien seiner Dialoge diese Deutung vorgelegt: im „Phaidros“ und im „Symposion“. Beide geben eines deutlich zu erkennen: Eros ist die Energie der „psyché“ – die Energie, die ein Lebewesen dazu anspornt, motiviert und antreibt, sich zur „areté“ und Schönheit eines voll erblühten Lebens zu entfalten.“ Eros ist der Drang nach wirklicher Lebendigkeit, der jedem Lebewesen innewohnt. Eros ist der Sog, der von dem Gott, den Platon „psyché“ nennt, fortwährend ausgeht, um den Menschen immer mehr der Harmonie des Lebens anzunähern. Der Philosoph, Theologe und Religionswissenschaftler Christoph Quarch arbeitet freiberuflich als Autor, Vortragender und Berater.

Weiterlesen

Freiheit gewährt niemals Herrschaft über andere

Freiheit ereignet sich stets im Rahmen der verbindlichen Gesetze. Paul Kirchhof erläutert: „Das Gesetz schafft Frieden und eine Lebensordnung, in der allein Freiheit möglich ist. Es bindet den Freien in Verboten und Geboten, die sprachlich verbindlich bestimmt sind und damit Grenzen der Freiheitsbeschränkung benennen. Diese sind auch vom Staat zu achten.“ Das Gesetz regelt, wann der Mensch frei und wann er gebunden ist. Du sollst nicht töten. Du musst mit sechs Jahren die Schule besuchen. Du musst Steuern zahlen. Freiheit ist nicht die Beliebigkeit, die den Mitmenschen den eigenen Willen aufdrängt, sondern ein Recht, das die selbstbestimmte Entfaltung des eigenen Lebens in einer Gemeinschaft des Friedens und der Freiheit für jedermann erlaubt und erwartet. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Weiterlesen

Das eigenständige Denken ist der Ursprung der Kultur der Rationalität

Das, was die europäische Kultur am nachhaltigsten von allen anderen Weltkulturen unterscheidet, ist der hohe Wert, den sie von ihren frühen Anfängen in der griechischen Antike auf das eigenständige Denken legte. Silvio Vietta erläutert: „Das eigenständige Denken ist eines der höchsten Werte der abendländischen Kulturgeschichte und zugleich Ursprung und Grund einer ganzen Kultur des Abendlandes: der Kultur der Rationalität.“ Die Aufforderung zum eigenständigen Denken findet sich bereits formuliert in dem Gebot „Erkenne dich selbst“, das über dem Eingang des Apollotempels in Delphi eingemeißelt war und dem Weltweisen Chilon von Sparta zugeschrieben wird. Der Spruch, der den Menschen auch an seine Endlichkeit und Sterblichkeit mahnen soll, bekundet den Anfang des philosophischen Denkens im frühen Griechenland bei den vorsokratischen Philosophen. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Weiterlesen

Alles Gute ist schön und niemals maßlos

Schönheit ist für Platon so viel wie der Glanz des Guten, Göttlichen und Wahren. Christoph Quarch ergänzt: „Schönheit ist der Glanz, der alles umgibt, was sinnvoll und bejahbar ist.“ Im „Phaidros“ stellt Sokrates einen atemberaubenden Mythos vor, indem es heißt, dass die „psyché“ eines Menschen einem gefiederten Gespann gleiche, das sich aus drei Aspekten zusammensetzt: der Ratio = dem Wagenlenker, den Emotionen = Pferd 1, den Affekten = Pferd 2. Platon definiert die Schönheit im „Timaios“ wie folgt: „Alles Gute ist schön. Das Schöne aber ist niemals maßlos. Um von einem Lebewesen sagen zu können, es sei schön, müssen wir daher annehmen, dass es mit sich selbst im Einklang ist.“ Der Philosoph, Theologe und Religionswissenschaftler Christoph Quarch arbeitet freiberuflich als Autor, Vortragender und Berater.

Weiterlesen

Die Aufklärung war von unerschrockenen Freigeistern gekennzeichnet

Das 18. Jahrhundert entwickelte sich zur Epoche der großen „Entlarvung“: der Demaskierung aller – oder jedenfalls sehr vieler – Werte und Wahrheiten, die bis dahin als unantastbar gegolten hatten. Die Aufklärung sollte in Amerika und in Frankreich zu zwei politischen Revolutionen Anstoß geben, die in der Frage legitimer Machtausübung eine nachhaltige Veränderung herbeiführen würden. Zunächst war sie jedoch von einem nüchternen und respektlosen Blick auf alles gekennzeichnet, was unlängst noch Ehrfurcht gebietend erschien. Ger Groot erläutert: „Ein unerschrockener Freigeist hielt Einzug, der sogar vor den Entlarvung der Moral als ein fadenscheiniges Deckmäntelchen, das dazu diente, die egoistischen Motive zu verbergen, nicht zurückschreckte.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Weiterlesen

Computer sind reine Logik

Bei der künstlichen Intelligenz (K.I.) handelt es sich nicht um Denken, sondern um ein Denkmodell. Ein Modell muss dabei demjenigen, was es modelliert – seinem Zielsystem – allenfalls ähneln. Markus Gabriel erläutert: „Es ist keine Kopie, sondern kann selber auch ganz andere Eigenschaften haben als dasjenige, was wir durch es verstehen und erklären wollen.“ Bei der menschlichen Intelligenz (M.I.) kann man der Einfachheit halber davon ausgehen, dass es sich bei der Intelligenz um das Vermögen zu denken handelt, wie Luciano Floridi sich ausdrückt. Mit den Gesetzen des Denkens beschäftigt sich die Logik, sofern der Denkprozess darin besteht, Gedanken zu erfassen. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Weiterlesen

Eine saubere Wohnung verbreitet Freude

Das Saubermachen selbst gefällt nicht jedem, wohl aber der Zustand hinterher. Makellos saubere Räume wirken auf jeden Menschen einladend. Aristoteles befand: „Wir sind, was wir wiederholt tun. Vorzüglichkeit ist deshalb keine Handlung, sondern eine Gewohnheit.“ Man braucht keinen starken Willen, um regelmäßig aufzuräumen und seine Wohnung sauber zu halten. Fumio Sasaki weiß: „Gute Vorsätze bringen da gar nichts. Nein, man muss sich das Aufräumen zur Gewohnheit machen.“ Hat man diese Gewohnheit erst einmal angenommen, macht man ganz automatisch sauber, ohne groß darüber nachzudenken. Es heißt, Belohnungen seien der Schlüssel dafür, dass man sich Neues angewöhnt. Beim täglichen Putzen besteht die Belohnung möglicherweise in der Befriedigung, die man hinterher spürt. Fumio Sasaki arbeitete als Cheflektor des japanischen Verlages Wani Books, bevor er freier Autor wurde.

Weiterlesen

Schönes führt zu einem besseren Leben

Die Sprache selbst ist unfähig, alles zugleich zu ergreifen – dies geht nur in Zurückgezogenheit und Schweigen –, aber die Sprache kann dennoch eine Welt erzeugen, sie schaffen. Erst die Unterscheidungen, die Menschen nutzen, erzeugen die Wirklichkeit. Für Frank Berzbach ist diese Erkenntnis eine der großen Einsichten der Differenz- und Systemtheorien. Und es ist entscheidend welche Welt die Sprache erschafft. Sich den Alltagsformen zu widmen, über den Alltag nachzudenken, erfordert und erzeugt Formbewusstsein. Wenn Kunst, Lebenskunst und die Schönheit zu Hause beginnen, existiert nur noch der persönliche Alltag. Dieser besteht aus so einfachen Aspekten, dass man Gefahr läuft, sie zu unterschätzen. Auch darf man nicht vergessen, dass alle Eckpunkte des Alltags miteinander vernetzt sind. Dr. Frank Berzbach unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung und Kulturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln.

Weiterlesen

Man muss ein schlechtes Leben mehr fürchten als den Tod

Im Titelthema geht das neue Philosophie Magazin 01/2020 der Frage nach „Wofür es sich zu leben lohnt“. Was erfüllt das Dasein mit Sinn? Ist es die Verantwortung für das Morgen oder die Intensität des Jetzt? Antworten auf diese Fragen geben namhafte Denker und Denkerinnen wie Robert Pfaller, Barbara Vinken, Markus Gabriel oder Dieter Thomä und viele andere. Ihre Beiträge schärfen den Blick für das, was wirklich zählt. Viele Menschen ziehen die Bilanz ihres Lebens leider erst dann, wenn es schon zu spät. Läge es nicht näher, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu einem Gradmesser von Gegenwart und Zukunft zu machen. Dadurch ist man gegen spätere Gefühle der Reue weitestgehend geschützt. Der Philosoph Søren Kierkegaard unterscheidet eine ästhetische, auf Selbstgenuss und Sinnlichkeit ausgerichtete Existenz, die sich auf das Hier und Jetzt konzentriert. Und eine ethische, die sich der Verantwortung – und damit eher der Zukunft – verschreibt.

Weiterlesen

Freiheit birgt das Risiko der Ungleichheit

Wir Karl Marx vor langer Zeit bemerkte, birgt Freiheit das Risiko, Ungleichheiten ungehindert gedeihen zu lassen. Catherine MacKinnon bringt diesen Zusammenhang auf den Punkt: „Freiheit der Gleichheit, Freiheit der Gerechtigkeit vorzuziehen, wird lediglich die Macht der Mächtigen weiter befreien.“ Freiheit kann also Gleichheit nicht übertrumpfen, weil Ungleichheit die Möglichkeit beeinträchtigt, frei zu sein. Eva Illouz stellt fest: „Wenn die Heterosexualität die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern organisiert und naturalisiert, können wir davon ausgehen, dass die Freiheit sich von einer solchen Ungleichheit nicht beunruhigen lässt, sondern sie gelassen hinnimmt und für das Natürlichste von der Welt hält.“ Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

Weiterlesen

Im Traum und im Rausch erreicht der Mensch das Wonnegefühl des Daseins

Der Rausch beschäftigt die Philosophie, auch die Theologie, die Physiologie und die Psychiatrie gleichermaßen. Reinhard Haller fügt hinzu: „In manchen Religionen ist er die Brücke zum Himmlischen.“ Für Friedrich Nietzsche war der Rausch ein Mittel, soziale und religiöse Fesseln zu sprengen: „In zwei Zuständen nämlich erreicht der Mensch das Wonnegefühl des Daseins, im Traum und im Rausch“, schreibt er in der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Und an anderer Stelle, in den „Streifzügen eines Unzeitgemäßen“, seinen kreativen Effekt betonend: „Damit es Kunst gibt, damit es irgendein ästhetisches Thun und Schauen gibt, dazu ist eine physiologische Vorbedingung unumgänglich: der Rausch.“ Abgeleitet aus dem Mittelhochdeutschen, haben die Begriffe „rüsch, riuschen“ mit ungestümen Bewegungen, Anstürmen, zu tun. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

Weiterlesen

Die Grenzlinie zwischen Anlage und Umwelt ist stark umstritten

Theorien des menschlichen Verhaltens stützen sich auf die der menschlichen Natur: auf Regelmäßigkeiten, die sich aus der universalen menschlichen Biologie ergeben, im Gegensatz zu denen, die in den Normen oder Bräuchen der verschiedenen menschlichen Gemeinschaften wurzeln. Francis Fukuyama fügt hinzu: „Die Grenzlinie zwischen Anlage und Umwelt ist heutzutage stark umstritten, doch kaum jemand würde leugnen, dass diese beiden gegensätzlichen Pole existieren.“ Zum Glück braucht diese Grenze nicht exakt gezogen zu werden, wenn man eine Theorie entwickeln will, die nützliche Einsichten in die menschliche Motivation liefert. Frühneuzeitliche Denker wie Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jaques Rousseau grübelten intensiv über den „Naturzustand“, eine Urzeit vor dem Aufkommen der menschlichen Gesellschaft. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

Weiterlesen

Die Utopie spielt in der politischen Debatte keine Rolle mehr

Richard David Precht konstatiert, dass aus den politischen Debatten in der westlichen Welt die demokratische Utopie weitgehend verschwunden ist. Schon Karl Marx und Friedrich Engels wehrten sich dagegen, dass ihre Prophetie der Geschichte nur eine Utopie sei; sie verbannten das Wort aus ihrem Wortschatz. Und auch heute steht die Utopie gern als albern und weltfremd im Raum, jedenfalls dann, wenn sie sich nicht auf Technik, sondern auf Gesellschaft bezieht – so als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. Irrlichternde Phänomene wie die Partei der „Piraten“ in Westeuropa haben noch das Ihre dazu beigetragen. Randvoll mit Selbstwidersprüchen und kindlichen Allmachtsfantasien zerstoben sie schneller als sie gekommen waren. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Die Wissenschaft ist die größte Errungenschaft der Menschheit

Bereits im Alter von 24 Jahren schrieb Alfred Jules Ayer (1910 – 1989) ein Buch, in dem er erklärte, dass der Großteil der Geschichte der Philosophie leeres Geschwafel oder gar kompletter Unsinn sei. Das 1936 veröffentlichte Werk trug den Titel „Sprache, Wahrheit und Logik“. Das Buch wurde zu einer wichtigen Streitschrift für eine neue philosophische Richtung, die man als logischen Positivismus oder logischen Empirismus bezeichnete. Nigel Warburton erklärt: „Für die logischen Empiristen ist die Wissenschaft die größten Errungenschaft der Menschheit.“ „Metaphysik“ ist ein Begriff, der verwendet wird, um diejenige Realität zu bezeichnen, die jenseits der sinnlich erfahrbaren physischen Welt lieg. Dass es eine solche Realität gab, stand für Philosophen wie Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer und Georg Wilhelm Friedrich Hegel fest. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.“

Weiterlesen

Der Weise legt viel Wert auf Dankbarkeit

Seneca weist auf einen Gesichtspunkt hin, der den Umgang mit einem schweren Schicksal erleichtern kann. Es ist die Dankbarkeit für das, was einem das Leben bisher gegeben hat. Albert Kitzler erläutert: „Anstatt auf Zukünftiges zu hoffen, sollten wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf die vorhandenen Güter richten und dankbar sein für das, was wir haben.“ Seneca meint, dass die Menschen häufig dem Schicksal gegenüber ungerecht sind, wenn sie ein unterschiedliches Maß anlegen an das, was ihnen gewährt und was ihnen vorenthalten wird. Sie haben die Tendenz, das Gewährte gering zu achten und zu viel zu verlangen: „Niemand weiß Dank zu erstatten außer dem Weisen.“ Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

Weiterlesen

Die Liebe ist ein Urphänomen

Es gibt heutzutage ein krank machendes Verhalten, gegen das schon Viktor Frankl mit großer Leidenschaft zu Felde zog, ein Verhalten, dass nach wie vor eine wesentliche Ursache für das Entstehen existentieller Frustration ist. Gemeint ist der Mangel an Hingabe, an Liebe: zu Menschen, zu Aufgaben, zum Leben. Liebe nannte er die „personale Seinsweise“ des Menschen. Was heißt das? Uwe Böschemeyer erläutert: „ Die Liebe ist ein spezifisch menschlicher, der wichtigste, der einzig normative Wert. Mag er noch so verkapselt, verschüttet, verdrängt sein. Er bleibt eine reale Möglichkeit eines jeden Menschen. Er ist ein Urphänomen.“ Deshalb wartet letztlich jeder Mensch darauf – und sei es ihm noch so unbewusst –, nicht nur geliebt zu werden, sondern auch selbst lieben zu können. Uwe Böschemeyer ist Rektor der Europäischen Akademie für Wertorientierte Persönlichkeit und Leiter des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse in Salzburg.

Weiterlesen

Es gibt einen Zwang in Kausalitäten zu denken

Aus der Natur des Menschen folgen die Fähigkeit und der Zwang, in Kausalitäten zu denken, also die Erscheinungen der äußeren, aber auch der inneren Welt in Zusammenhängen von Ursachen zu setzen. Thomas Fischer stellt fest: „Dieser Zwang ist so groß, dass er das gesamte Denken beherrscht und kein Phänomen ursachenlos („begründungslos“) lassen kann.“ Daher werden einerseits auf offenkundig schlechte Begründungen akzeptiert (etwa, die Neigung zu Kriminalität hänge ursächlich mit „rassischen“ Merkmalen zusammen); andererseits werden Lücken des Zusammenhangs „fiktiv“ geschlossen – indem eine Ursache als „noch nicht gefunden“ postuliert wird. Die Wirksamkeit dieses Zwangs zu Begründungen ist unabhängig davon, in welcher Struktur der Rationalität und Vorstellungswelt die Ursachen gesucht und gefunden werden. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Weiterlesen

Der Geist hat kein Geschlecht

„Philosophinnen: Eine andere Geschichte des Denkens“ lautet der Titel der neuen Sonderausgabe des Philosophie Magazins. Vorgestellt werden darin weltberühmte und kaum bekannte Denkerinnen wie Hypatia von Alexandrien, Hildegard von Bingen, Émilie du Châtelet, Mary Wollstonecraft, Simone Weil, Harriet Taylor Mill, Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Dona Haraway, Judith Butler und viele, viele mehr. Allein an dieser kleinen Auswahl sieht man, dass die Philosophie niemals ein rein männliches Hoheitsgebiet war. Auch nicht in früheren Jahrhunderten. In jeder Epoche gibt es auch herausragende Denkerinnen. „Und zwar so viele und dermaßen interessante, dass sich unweigerlich der Verdacht einstellt, diese seien nicht einfach vergessen, sondern von der Philosophiegeschichte geradezu aktiv verdrängt worden“, spekuliert die Chefredakteurin der Sonderausgabe, Catherine Newmark. Denn seit der Antike haben Frauen über Metaphysik, Ethik, Naturphilosophie und Politik nachgedacht und geschrieben. Der Geist hat kein Geschlecht.

Weiterlesen