Querdenkerei und Mut kommen im „Hotel Mama“ viel zu kurz

Auf den ersten Blick hat das „Hotel Mama“ alle Vorzüge: Vollpension, Bügel- und Putzservice sowie Unterstützung in allen Lebensbereichen. Auch deshalb ist es bei den Jugendlichen begehrt wie nie zuvor. Vor rund 40 Jahren dagegen galt es als oberstes Ziel, möglichst rasch dem Elternhaus zu entfliehen. Zu unterschiedlich waren damals die Meinungen einer Generation, die den Krieg mitgemacht hatte und dem Nachwuchs, der auf der Straße dagegen demonstrierte. Die Kommunikationswissenschaftlerin Beate Großegger, die am Institut für Jugendkulturforschung in Wien arbeitet, glaubt, dass die heutige Elterngeneration verständnisvoller uns smarter als damals sei: „Eltern bemühen sich, Verständnis zu zeigen, ihre Kinder zu verstehen und decken sich dafür mit Ratgeberliteratur ein.“ Es scheint für die Jugendlichen daher attraktiv zu sein, mit ihnen unter einem Dach zu leben.

Die Lebensphase „Jugend“ hat sich nach oben und nach unten ausgedehnt

Ideologische Streitpunkte gibt es kaum, da man sich nicht aneinander reibt. Der Trend zum Nesthocken hat aber nicht nur mit Bequemlichkeit zu tun. Beate Großegger erklärt: „Einerseits spielen Wohnungsknappheit beziehungsweise teure Mieten eine Rolle – junge Erwachsene, die noch in der Ausbildung sind, müssen selbst für ein solides WG-Zimmer in angemessener Lage beachtliche Beträge auf den Tisch legen.“ Im „Hotel Mama“ dagegen braucht man keine Miete zu bezahlen und es bleibt Geld für viele anderen Dinge übrig, die Jugendlichen wichtig sind.

Bei jungen Männern allerdings spielt schon der Bequemlichkeitsfaktor die entscheidende Rolle, sich zu Hause bei den Eltern einzunisten. Beate Großegger erläutert: „Das heißt, der Kühlschrank ist niemals leer und das Toilettenpapier geht normalerweise auch nicht aus.“ Das einige Nesthocker inzwischen schon fast 30 Jahre alt sind, hängt damit zusammen, dass sich die Lebensphase „Jugend“ nach unten wie nach oben hin ausgedehnt hat: Die Ausbildungszeiten dauern länger und aufgrund der Situation am Jugendarbeitsmarkt sind sie länger auf die finanzielle Unterstützung der Eltern angewiesen.

Die Jugendlichen von heute stehen immer später auf eigenen Beinen

Die Sache hat aber einen entscheidenden Nachteil: Indem Eltern den Prozess der Abnabelung hinauszögern, verhindern sie Chancen. Der deutsche Jugendforscher Klaus Hurrelmann ist fest davon überzeugt, dass damit viele wichtige Entwicklungsschritte in diesen prägenden Jugendjahren blockiert werden. Klaus Hurrelmann betont: „Man bleibt Kind. Das Studium wäre eigentlich der Schritt ins selbstständige Leben.“ Die starke räumliche Nähe zu den Eltern führt seiner Meinung nach dazu, dass die Jungen von heute immer später auf eigenen Beinen stehen können.

In der Gegenwart lernen viele Jugendliche nicht mehr, Entscheidungen in der „Wildnis“ namens Welt zu treffen. Was im „Hotel Mama“ auch viel zu kurz kommt: Querdenkerei und Mut. Beate Großegger kritisiert: „Die Kinder sollen brav mitspielen in einem Bildungssystem, das an den Bedürfnissen der Jungen vorbeigeht.“ Die Jugendforscherin fügt hinzu: „Unsere Gesellschaft könnte von mühsamen, aber spannenden jungen Menschen profitieren, die quer denken und damit Neues in die Welt setzen. Die Jugend ist bunt und widersprüchlich – es gibt tolle Potentiale, wenn man sie fördert. Und zulässt, dass sie sich entwickeln.“ Quelle: Kurier

Von Hans Klumbies