Verzeihen ermöglicht einen Neuanfang

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 01/2019 lautet: „Verzeihen. Gibt es einen Neuanfang?“ Wo Menschen handeln entsteht manchmal Schuld. Und in einzelnen Fällen wiegt sie so schwer, dass kein Heil mehr möglich scheint. Hier kommt das Verzeihen ins Spiel, als Weg das Gewesene zu verwandeln und neu zu beginnen: Darin waren sich Denker wie Friedrich Nietzsche, Hannah Arendt und Paul Ricœur einig. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt in ihrem Beitrag, dass es Verletzungen gibt, die ein Dasein ganz und gar bestimmen können. Schmerzhafte Erfahrungen fesseln das Selbst – und nicht selten auch ganze Nationen. Sie halten Menschen gefangen in einer Fixierung auf Taten, die das Leben tief erschüttern, vielleicht gar zerstören. Der französisch-jüdische Philosoph Emmanuel Lévinas schrieb: „Wer verzeiht, ist fähig, das Band mit der Vergangenheit neu zu knüpfen.“

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Die Welt gleicht einem unberechenbaren Pulverfass

Überall auf der Erde herrschen Krisen und Konflikte. Wolfgang Ischinger stellt in seinem neuen Buch „Welt in Gefahr“ fest: „Wir haben die gefährlichste Weltlage seit Ende des Zweiten Weltkrieges.“ Die Werte der Westens und die liberale Weltordnung werden von autokratischen und diktatorischen Regimen herausgefordert und infrage gestellt. Die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland sind auf dem Tiefpunkt, die Abhängigkeit von China wächst, und unter Präsident Donald Trump ist Amerika als Europas wichtigster Verbündeter unberechenbar geworden. Wolfgang Ischinger ist fest davon überzeugt, dass ohne ein aktiveres Engagement Deutschlands in einer zunehmend chaotischen und konfliktreichen Welt die Grundlagen von Frieden und Wohlstand erodieren werden. Wolfgang Ischinger ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und einer der renommiertesten deutschen Experten für Außen- und Sicherheitspolitik.

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Der Achtsame konzentriert sich ganz auf das Hier und Jetzt

Achtsamkeit beschreibt einen Prozess, bei dem „die Aufmerksamkeit nicht-wertend auf den gegenwärtigen Augenblick gerichtet ist“, schreibt Ute Anderssen-Reuster im „Handbuch der Achtsamkeit“. Der Experte für Achtsamkeit, Yoga-Lehrer und ehemalige Professor für Molekularbiologie aus Massachusetts Jon Kabat-Zinn definiert Achtsamkeit wie folgt: „Achtsamkeit ist die Kunst, sich durch Meditation ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, unseren Geist so zu schärfen, dass wir unser volles Potential ausschöpfen.“ Diese Kunst der achtsamen Betrachtung ist eng verwandt mit Aspekten der unterschiedlichsten Weisheitslehren und hat wenig mit dem zu tun, was oftmals im großstädtischen Zeitgeistgeträller davon übrig bleibt. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Die Symmetrie ist die prinzipielle Regel einer organisierten Gesellschaft

Die Symmetrie wurde bis zu der jüngsten Intellektualisierung als prinzipielle Regel einer organisierten Gesellschaft vorausgesetzt, ja für jede Form kollektiven Lebens, in welcher man anderen mehr als einmal begegnet oder mehr als einmal mit ihnen zu tun hat. Nassim Nicholas Taleb stellt fest: „Die Regel muss sogar älter sein als die Ansiedlung der ersten Menschen, da sie in einer komplexen, sehr komplexen Form schon im Tierreich gilt.“ Oder anders gesagt: Die Regel muss im Tierreich bereits gegolten haben, sonst wäre das Leben ausgelöscht worden, denn die Verlagerung von Risiken zerstört Systeme. Der Sinn dieses Gesetzes, sei es göttlichen oder anderen Ursprungs, besteht darin, Ungleichgewichtigkeit zu beheben und Asymmetrien zu beseitigen. Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

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Der Literatur Kalender 2019 thematisiert Anfänge und Aufbrüche

„Der Literatur Kalender 2019“ vereint 53 bedeutende Momente über Anfang und Aufbruch aus dem literarischen Leben berühmter Schriftsteller. Der Kalender enthält autobiografische Texte, ausführliche Bildlegenden, Kurzbiographien und ein Kalendarium mit den Lebensdaten der vorgestellten Autoren. J. D. Salinger, dem die erste Woche des Januars gewidmet ist, fing mit dem Schreiben an, als er ungefähr 18 Jahre alt war, und ist seither dabei geblieben. Sein erster und einziger Roman „Der Fänger im Roggen“ der ihn weltberühmt machte, erschien 1951. Es war das Aufbruchsbuch der Nachkriegsgeneration. Ende April erscheint Karl Kraus auf der Bühne des Literatur Kalenders. Er schreibt im März 1914 an die böhmische Baronin Sidonie Nádherný: „Ich verbrenne … Ich hätte nie geglaubt, dass es so über mich noch hereinbrechen kann. Es ist Anfang oder Ende.“

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Bernd Roeck beschreibt das Mittelalter in Europa

Nichts hat das mittelalterliche Europa tiefgreifender verändert und sein Schicksal nachhaltiger bestimmt als der Landesausbau, mit dem Ertragssteigerungen und Bevölkerungswachstum einhergingen, dazu die Ausweitung von Handel und Geldwirtschaft. Bernd Roeck ergänzt: „Der Aufschwung legte Palästen und Kathedralen die Fundamente und spülte Münzen in die Kassen der Könige. Er ließ ihre Heere größer werden, so dass sie sich imstande sahen, es mit den Kriegern des Propheten aufzunehmen.“ Er produzierte Handwerker und Konsumenten, Händler und Steuerzahler; er ermöglichte es, Schulen zu gründen, Burgen und Kirchen zu errichten. Der Mönch Radulf Glaber kommentiert: „Als das dritte Jahr nach dem Jahr 1000 herankam, wurden fast überall, aber besonders in Italien und Gallien die Kirchen erneuert.“ Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Jeder Fortschritt ist zugleich ein Rückschritt

Was die Menschheit der digitalen Technik und ihren Treibern tatsächlich verdankt, ist eine immer globalere Einheitszivilisation. Der digitale Code setzt sich spielend über Länder- und Kulturgrenzen hinweg und ebnet sie ein in einer technischen Universalsprache aus Einsen und Nullen, am Nil ebenso verständlich wie am Rhein und am Amazonas. Richard David Precht weiß: „Kulturell betrachtet ist jeder Fortschritt zugleich ein Rückschritt. Der Prozess begann mit dem Siegeszug des Effizienzdenkens, verstärkt durch sein mächtigsten Mittel: das Geld – der einzigen Sache, deren Qualität sich allein nach der Quantität bemisst.“ Wo das Geld regiert, verschwinden die Grenzen, aus beschaulichen Wochenmärkten wurden unübersehbare globale Märkte für Rohstoffe, Fertigprodukte und Spekulationen. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum

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Die Hetze gegen die Juden begann schon vor 1933

Die Nationalsozialisten hatten schon in den Jahren vor der Machtübernahme 1933 keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die kleine jüdische Minderheit in Deutschland für einen Großteil aller Probleme verantwortlich machten, denen sich die Deutschen gegenübersahen. Zwar hatte die NSDAP-Führung die Zahl der extrem judenfeindlichen Ausfälle in den Wahlkämpfen der Jahre 1930 bis 1933 etwas reduziert, um auch Wähler über die antisemitisch Eingestellten hinaus zu gewinnen.“ Ulrich Herbert fügt hinzu: „Aber es war doch für jedermann offensichtlich, dass wer die Hitlerpartei wählte oder mit ihr sympathisierte, damit die am stärksten antijüdische Gruppierung unterstützte, die in Deutschland je aufgetreten ist.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Selbstbestimmt zu leben entspricht nicht der Norm

Das Industriezeitalter und die damit verbundenen Kultur der engen Vorschriften, strikten Hierarchien und dumpfen Routinearbeit ist längst mausetot. Heute existiert ein weit offener Raum an möglichen Arbeits- und Lebensformen. Es ist eine Zeit des Aufbruchs und der Veränderung angebrochen. Anja Förster und Peter Kreuz erklären: „Und hier kommen die Menschen ins Spiel, die ihre Freiheit annehmen und auf ihre Selbstbestimmung setzen. Sie hinterfragen die ausgediente Wertewelt eines längst vergangenen Zeitalters und akzeptieren die engen Grenzen nicht mehr.“ Jede Gesellschaft braucht dringend Erneuerer, die nach praktikablen Wegen für eine neue Zeit suchen. Sie braucht Persönlichkeiten, die Neues vorantreiben. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass das alte Denken auf dem Rückzug ist. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

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Der Gedanke an Vergeltung ist nur ein kurzer Traum

Die Vorstellung, dass Vergeltung ein sinnvolles Unternehmen ist und eine Verletzung auszugleichen man, ist allgegenwärtig und wahrscheinlich evolutionär ererbt. Vergeltung hat häufig auch eine psychische Funktion. Martha Nussbaum erklärt: „Wenn Menschen kulturell bedingt der Vorstellung anhängen, dass Vergeltung gut ist, werden sie Befriedigung empfinden, sobald sie ihre Rache bekommen. Diese Befriedigung wird häufig als „Abschluss“ bezeichnet.“ Martha Nussbaum vertritt in dieser Frage allerdings etwas sehr Radikales. Ihrer Meinung nach ist der vom Zorn umfasste Gedanke an Vergeltung oder Heimzahlung bei einer vernünftigen und nicht übermäßig ängstlichen und statusfokussierten Person nur ein kurzer Traum, eine Wolke, die bald durch vernünftigere Vorstellungen vom Wohl des Einzelnen und der Gemeinschaft vertrieben wird. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Timothy Snyder warnt vor dem Weg in die Unfreiheit

Timothy Snyder beschreibt in seinem neuen Buch „Der Weg in die Unfreiheit“ den Aufstieg einer neuen „rechten Internationalen“, schildert ihre bedrohlichen Ziele und zeigt wie sehr die Grundlagen der Demokratie in Gefahr sind. Seit Vladimir Putin seine Macht in Russland etabliert hat, rollt eine Welle des Autoritarismus von Osten nach Westen, die Europa erfasst hat und mit Donald Trump auch im Weißen Haus angekommen ist. Russlands Invasion in der Ukraine im Jahre 2014 war laut Timothy Snyder ein Test für den Realitätssinn der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten. Leider fanden es viele Amerikaner und Europäer damals einfacher, die Phantome der Propaganda der Russen zu akzeptieren, als die Rechtsordnung zu verteidigen. Timothy Snyder ist Professor für Geschichte an der Yale University und Autor der Bücher „Über Tyrannei“, „Black Earth“ und „Bloodlands“.

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Ausgeglichene Beziehungen fördern die Zufriedenheit

Ungerechte Beziehungen können entstehen, wenn ein Partner mehr gibt, als er bekommt, oder wenn ein Partner eine machtvollere Position hat als der andere. Der Mangel an Ausgeglichenheit in der Ehe kann jeden der beiden Partner dazu bringen, nach einer ausgewogeneren Beziehung Ausschau zu halten. Shirley P. Glass erklärt: „Es ist eine gängige Annahme, dass ein Mensch, der eine Affäre hat, zuhause möglicherweise „nicht genug bekommt“. In Wirklichkeit ist es jedoch so, dass er oder sie möglicherweise nicht genug gibt.“ Entgegen dem Volksglauben sind Menschen in Beziehungen, in denen sie „übermäßige Vorteile genießen“, nicht so zufrieden wie in Beziehungen, in denen mehr Gerechtigkeit herrscht. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

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Für den Sinn des Lebens gibt es keine Garantie

Das menschliche Streben nach Veränderung und Verbesserung, die Suche, ist nicht als Makel und Beweis für die Unvollkommenheit des Menschen zu verstehen, sondern als kreative und schöpferische Fähigkeit, mit Unsicherheit und Wandel umzugehen. Dabei handelt es sich um eine unerlässliche Kompetenz in jedem lebendigen Zusammenhang. Ina Schmidt erläutert: „Gerade in einer globalen, mobilen und gut vernetzten Welt, die ebenfalls den Gesetzen sozialer und organischer Zusammenhänge gehorcht, brauchen wir mehr denn je kompetente Suchende.“ Diese Überzeugung gilt auch dann, wenn man erst einmal nichts zu verstehen glaubt und sich auf folgende Einsicht des Denkers Georg Christoph Lichtenberg beschränken muss: „Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“ Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Ohne Übung gibt es keine Glückseligkeit

Schon bei dem griechischen Philosophen Aristoteles bedurfte die Glückseligkeit vor allem einer Sache: Übung. Denn ein Tag könne einen Menschen weder glücklich noch selig machen, sondern dafür bedürfe es eines ganzen Menschenlebens. Ina Schmidt erläutert: „Das Glück ist also nicht das Gute, aber wir erleben es nicht, ohne nach dem Guten zu streben, und zwar immer und immer wieder – ein Leben lang.“ Und so, wie es sehr unterschiedliche Formen gibt, wie man das Gute mit dem Glück verbinden kann, ist es nicht verwunderlich, dass es auch in der philosophischen Suche nach dem Glück überaus vieldeutig zuging. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Der ewige Friede bleibt ein unerreichbarer Menschheitstraum

Die verherrenden Wirkungen des Siebenjährigen Krieges waren nach dreißig Jahren noch spürbar. Die Ideale von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der Französischen Revolution erstickten am Gegensatz von „Bruder“ und „Vaterlandsverräter“, hatten zu Guillotine, Diktatur und Krieg geführt. Da erscheint Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“. Der Wille zum Frieden war allgemeine Hoffnung. Ewiger Friede aber blieb ein unerreichbarer Menschheitstraum. Paul Kirchhof schreibt: „Doch Immanuel Kant dachte radikal und kategorisch. Seine Schrift machten diesen Frieden zur Utopie – unmöglich mit einem Hauch von Hoffnung. Die Idee des Weltfriedens ist letztlich darauf angelegt, lang ersehnt und doch unverhofft verwirklicht zu werden.“ Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Ein Mensch ohne Besitz ist wenig wert

Der beste Wegbereiter eines Burn-out ist das Ego eines Menschen. Ein solches Ego lebt nach dem Motto: Mehr haben wollen, besser sein als andere, immer mehr Dinge auf einmal tun können, Gewinner sein, sich anstrengen für Anerkennung, stärker sein. Klaus Biedermann stellt fest: „Solche Dinge werden uns von Kindesbeinen an ständig eingetrichtert und sind in einer Konsumgesellschaft Grundvoraussetzung für deren Funktionieren. Wir bekommen vorgelebt, gezeigt und gesagt, dass ein Mensch, der nichts besitzt oder nichts leistet, wenig wert ist.“ Mehr noch: Man darf sich sogar über ihn lustig machen. Irgendwann übernehmen Besitz und Leistungsstreben die Herrschaft über das gesamte Leben eines Menschen, obwohl ihm rational durchaus klar ist, dass er nackt kam und mit leeren Taschen wieder gehen wird. Dr. phil. Klaus Biedermann leitet seit mehr als 30 Jahren Selbsterfahrungskurse und Burn-In-Seminare in seiner Sommerakademie auf der Insel Korfu.

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Die Machtzentren der Welt haben sich nicht verlagert

Die politische Ökonomie ist laut Emmanuel Todd nicht in der Lage, die gewaltigen Umwälzungen in der Welt zu erfassen. Um dies zu erkennen hält sich der französische Soziologe an die am weitesten entwickelten Länder. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten Brasiliens und Chinas räumen mit der Illusion auf, die Geschichte werde fortan maßgeblich durch die Schwellenländer geprägt. Emmanuel Todd schreibt: „Die Spielregeln der wirtschaftlichen Globalisierung wurden in den Vereinigten Staaten, Europa und Japan festgelegt. Diese „Triade“ hat seit 1980 die jüngst alphabetisierten Erwerbsbevölkerungen der Dritten Welt in Arbeit gebracht, dadurch die inländischen Arbeitseinkommen gewaltig unter Druck gesetzt und – wie man sagen muss – auf diese Art weltweit die Profitraten erhöht.“ Wohl noch besser drückt sich die Vorherrschaft der alternden entwickelten Welt in einer anderen Fähigkeit aus. Emmanuel Todd ist einer der prominentesten Soziologen Frankreichs.

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So sah Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aus

Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen die deutschen Städte in Trümmern. Ihre historischen und industriellen Zentren waren bis zu 80, 90 Prozent zerbombt. Josef Joffe ergänzt: „Total war die moralische Zerstörung nach dem Vernichtungskrieg gegen Juden und andere „Untermenschen“. Die „Stunde null“ wurde zum geflügelten Wort.“ Vor den Deutschen lagen Ächtung und Vergeltung, so weit das Auge reichte. Selbst ein freundlicher Beobachter wie der amerikanischen Deutschland-Historiker Fritz Stern erinnert sich an sein Gefühl des „Misstrauens und der Abscheu“. Doch den Westdeutschen sollte ein dreifaches Glück zuteilwerden. Einmal in der Gestalt von Konrad Adenauer, der 1949 im Bundestag mit nur einer Stimme Mehrheit gewählt wurde – seiner eigenen. Sein Widersacher, der Sozialdemokrat Kurt Schumacher, stand für einen national-neutralistischen Kurs kontra Westbindung und Integration. Josef Joffe ist seit dem Jahr 2000 Herausgeber der ZEIT.

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Philosophie ist kein absolutes Wissen

Wer die Philosophie als Lehrerin für sein Leben wählt, darf nicht erwarten, sie sage einem mit allgemeiner Gültigkeit, was zu tun und zu lassen ist. Das wäre nach Seneca ein großes Missverständnis. Albert Kitzler erläutert: „Zwar geht es ihr um Erkenntnis, Einsicht, Schärfung der Begriffe, Unterscheidung, um Wahrheit und Irrtum. Aber unser Leben, das wir zu bewältigen haben, ist immer einmalig, jeder von uns ist einmalig.“ Es ist noch eine Kluft zu überbrücken, die sich immer und unvermeidlich zwischen einer Erkenntnis und allgemeinen Weisheitsregeln einerseits und den individuellen Umständen einer konkreten Lebenssituation andererseits auftut. Dies kann dazu führen, dass eine Weisheit modifiziert werden und hinter einer anderen zurücktreten muss. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Markus Gabriel denkt über das Denken nach

Was ist Denken? Diese Frage ist so alt wie die Philosophie und hat nichts von ihrer Bedeutung verloren. Markus Gabriel vertritt in seinem neuen Buch „Der Sinn des Denkens“ die These, dass sie im digitalen Zeitalter, in dem Denken oft gleichgesetzt wird mit Künstlicher Intelligenz (KI), aktueller und dringender denn je ist. Er lädt seine Leser dazu ein, über das Denken nachzudenken und erklärt, warum sich menschliches Denken niemals durch intelligente Maschinen ersetzen lässt. Dagegen dominiert im Zeitalter der Digitalisierung die Vorstellung, dass Künstliche Intelligenz denken könne. Diese Annahme verkennt allerdings, dass das menschliche Denken unüberwindbar an biologische Bedingungen gebunden ist und nicht als ein Vorgang der Datenverarbeitung verstanden werden darf. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus

Matthew B. Crawford erklärt: „Die Vorstellungen Immanuel Kants sind der philosophische Ursprung der modernen Gleichsetzung von Freiheit und Wahlmöglichkeit, wobei die Wahl als bloßer Ausdruck des unbedingten Willens verstanden wird.“ Das ist grundlegend für das Verständnis der gegenwärtigen Kultur, denn der so verstandene freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus, und viele Menschen halten jene, die ihnen die Wahlmöglichkeiten anbieten, für Diener ihrer Freiheit. Wenn man von der Prämisse ausgeht, die stumpfsinnige Natur bedroht die menschliche Freiheit als vernünftige Wesen, ist die Verlockung groß, eine virtuelle Realität zu konstruieren, die weniger real ist und in der das Selbst nicht mit der Welt kollidiert. Immanuel Kant versuchte, die Freiheit des Willens gegen äußere Einflüsse abzuschotten und zu einem „unbedingten“ apriorischen Gesetz zu machen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Hilfe für andere stabilisiert die eigene Psyche

Wer sich weniger hilflos fühlen will, hilft sich selbst, indem er anderen hilft. Georg Pieper erläutert: „Das Bewusstsein, ich bin solidarisch, ich setze mich dafür ein, dass wir diese Situation gemeinsam meistern, lässt die eigene Angst und das eigene Ohnmachtsgefühl in den Hintergrund treten.“ Wer anderen hilft und sie unterstützt, stabilisiert damit gleichzeitig seine eigene Psyche. Besonders beeindruckend findet Georg Pieper in diesem Zusammenhang die Geschichte des berühmten österreichischen Neurologen und Psychiaters Viktor Frankl, der 1942 von den Nationalsozialisten deportiert und Gefangener in mehreren Konzentrationslagern war. In seinem Buch über diese furchtbare Zeit erzählt er immer wieder von seinem starken inneren Bedürfnis, Mitgefangene zu unterstützen und sich um sie zu kümmern, denen es noch schlechter ging als ihm selbst. Der Psychologe, Therapeut und Traumaexperte Georg Pieper betreut seit Jahrzehnten Menschen nach extremen Katastrophen.

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Die Künstliche Intelligenz lässt das Leben bunter aussehen

„Kreativ sein“ – das ist heute in erster Linie nicht mehr die Domäne von ausgewählten künstlerischen Berufen oder von kleinen Kindern. Es ist vielmehr eine Anforderung an alle Menschen, ein reiches und durchgestaltetes Leben zu führen. Holger Volland fügt hinzu: „Wer die sozialen Medien so ernst nimmt wie die 51 Prozent deutsche Jugendliche, die regelmäßig Instagram nutzen – für den ist es sogar eine Notwendigkeit, seine Online-Persönlichkeit professionell kreativ zu gestalten.“ Vergleicht man Selbstporträts der „Generation Instagram“ mit denen älterer Menschen, fällt dies sofort auf, denn ungewollte Schnappschüsse oder echte, aus dem Leben gegriffene Situationen finden sich bei den Jungen nicht mehr. Der Informationswissenschaftler Holger Volland lehrte an der Hochschule Wismar Gestaltung und kuratierte große Ausstellungen der Gegenwartskunst in Argentinien und Deutschland.

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Die Würde zeichnet den Menschen vor allen Geschöpfen aus

Laut Immanuel Kant kann sich der Mensch anders als alle anderen Lebewesen in „sittlicher Autonomie“ über seine natürlichen Triebe erheben und sich von der Moral leiten lassen. Der Philosoph aus Königsberg scheibt: „Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muss in allen seinen sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.“ Der Mensch „gehorsam gegenüber dem Sittengesetz“ werde so „zum Gegenstand höchster Bewunderung, die gleichsam einen heiligen Schauer über die Größe und Erhabenheit seiner wahren Bestimmung fühlen“ lasse. Gerald Hüther ergänzt: „Der Mensch, sagt Immanuel Kant, hat aber die Pflicht, seine Würde, die ihn vor allen Geschöpfen auszeichnet, auch in seiner eigenen Person niemals zu beleidigen.“ Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.

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Das römische Weltreich herrschte über Jahrhunderte

Das Erstaunliche an der Geschichte des römischen Weltreichs ist, wie lange es Bestand hatte. Nach der Krise der Republik und dem Bürgerkrieg waren mit Errichtung der monarchischen Ordnung die Grundlagen für sein Überleben für weitere Jahrhunderte gelegt. Bernd Roeck weiß: „Bis in die Regierungsjahre Marc Aurels (161 – 180 n. Chr.) war ihm allein das Partherreich als ernstzunehmender Gegner geblieben.“ In diesem Sinn war es ein „Weltreich“. Marionettenherrscher und Klientelkönige zwischen Schwarzem Meer und Nordafrika halfen, vor den Grenzen Pufferzonen zu schaffen. Die Kaiser mochten Monster wie Nero oder Musterherrscher wie Trajan (98 – 117) sein, über ihren Wechsel hinweg stabilisierte den Staat eine alles in allem gut funktionierende Maschinerie der Verwaltung. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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