Die Philosophie prägt das Selbstverständnis des 18. Jahrhunderts

Schon den Zeitgenossen gilt das 18. Jahrhundert als das philosophische. Dass die Philosophie das Selbstverständnis eines Zeitalters maßgeblich prägen kann, sagt etwas über ihren wachsenden Anspruch auf öffentliche Wirksamkeit aus. Darin spiegelt sich der Versuch wider, die Gesellschaft, die Moral und das komplette Wissen der Zeit mithilfe der Vernunft rational abzusichern und sie auf vernünftigen Grundlagen neu zu entwickeln. Nicht zuletzt manifestiert sich in diesem Anspruch auch das Selbstbewusstsein einer neuen Elite von Intellektuellen, die sich aus religiösen und staatlichen Abhängigkeiten und Bevormundungen zu lösen beginnt und sich machtvoll als Vordenker und Sprachrohr dessen begreift, was sich seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert als öffentliche Meinung herausbildet. Teile der intellektuellen Eliten treten aus ihren ständischen Bindungen und aus ihren alten Funktionszusammenhängen heraus.

Die Aufklärer orientieren sich am Prinzip der Kritik

Die Intellektuellen unterwerfen das humanistische Ideal einer Res publica litteraria unter dem Einfluss neuer medialer Formen, neuer Mechanismen der Kommunikation und einer neuen Struktur des Publikums einer Reinterpretation. In deren Rahmen bilden sich Formen der Sozialisation und Interaktion und Sets von Normen heraus, die in wesentlichen Teilen bis heute das intellektuelle Feld prägen. Die Begriffe „Aufklärer“ und „philosophe“ und der von ihnen bezeichnete Sozialtypus sind insofern Teil komplexer gesellschaftlicher Prozesse der Transformation.

Es darf dabei allerdings nicht übersehen werden, dass große Teile der aufklärerischen Intelligenz in Europa eher traditionellen Modellen staatlicher Organisation und religiöser Praxis verbunden bleiben und keineswegs als Wegbereiter jener Revolution von 1789 betrachtet werden können, mit der die Aufklärung im engeren Sinne gleichzeitig ihre ideologische Apotheose und ihr historisches Ende erreicht. Zum Selbstverständnis der Aufklärer gehört wesentlich die Orientierung am Prinzip der Kritik, das heißt der systematischen Überprüfung aller von traditionellen Autoritäten verbürgten Wissensbestände.

Die Philosophen regieren über die Meinung

Nicht die Masse des historischen oder durch empirische Forschung erworbenen Wissens macht den Philosophen aus, sondern der Versuch seiner kritischen Begründung als wissenschaftlich verbürgte Gewissheit. Der Philosoph, der diesen Namen verdient, darf soziale Anerkennung und finanziellen Erfolg zwar anstreben, er muss aber stets bereit sein, die äußere Anerkennung dem jeweiligen Verdienst zu opfern. In der späten Aufklärung wird die Öffentlichkeit als ausgesprochenes Instrument der Herrschaft in den Händen einer aufklärerischen Elite begriffen.

Voltaire schreibt in einem Brief an d´Alembert: „Man beklagt sich über die Philosophen. Zu Recht, denn wenn die Meinung die Welt regiert, dann regieren die Philosophen über die Meinung. Sie können sich kaum vorstellen, wie sich ihre Herrschaft ausdehnt.“ Das Konzept des Philosophen als Herr der bürgerlichen Öffentlichkeit ist von niemanden offensiver vertreten worden als von Nicolas de Condorcet. Er zeichnet ein Porträt des historischen Fortschritts, das im Wesentlichen darin besteht, dass die öffentliche Meinung die avanciertesten Entwicklungen von Wissenschaft und Philosophie nachvollzieht. Quelle: „Handbuch Europäischer Aufklärung“ von Heinz Thoma (Hrsg.)

Von Hans Klumbies