Aristoteles untersucht die Eigenschaften der Lust

Für die Lust gilt, dass sie mit der Natur des Menschen durch ein ganz besonders inniges Band der Zugehörigkeit verknüpft ist. Dies ist für Aristoteles der Grund, weshalb die Erziehung der Kinder durch Lust- und Unlustempfindungen gesteuert wird. Es hat Gewicht und Einfluss auf die Bildung des Charakters und des Glücks, da der Mensch das Lustvolle will und das Unangenehme meidet. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die in der Lust den höchsten Wert sehen, auf der anderen Seite diejenigen, die sie als etwas durch und durch Verwerfliches betrachten. Eudoxos zählt zu den Verteidigern der Lust, die für ihn den obersten Wert darstellt, weil er sah, dass alles, Vernunftbegabtes und Vernunftloses, danach strebe.

Die Lust ist nicht der oberste Wert

Aristoteles betrachtet die Lust als einen Wert neben anderen, aber durchaus nicht anderen überlegen, denn jeder Wert ist in Verbindung mit einem anderen wählenswerter, als wenn er allein steht. Durch ein solches Argument beweist auch Platon, dass die Lust nicht der oberste Wert ist. Er sagt, das lustvolle Leben sei zusammen mit sittlicher Einsicht wählenswerter als ohne sie.

Wenn aber die Mischung besser sei, so sei die Lust nicht der oberste Wert, denn der oberste Wert könne durch keinerlei Hinzufügen noch wählenswerter gemacht werden. Die Gegner der Lust sagen, dass ein Wert etwas scharf Umgrenztes, die Lust aber ist etwas Grenzenloses, weil sie ein Mehr oder Minder zulässt.

Für Aristoteles hat die Lust nichts mit Bewegung zu tun

Wenn sich die Feinde der Lust ein solches Urteil auf Grund der Lustempfindung bilden, so muss das Gleiche laut Aristoteles auch für die Gerechtigkeit und die anderen Formen ethischer Trefflichkeit gelten, wo man ganz eindeutig von einem Mehr oder Minder der ethischen Qualität und einem Mehr oder Minder des ihnen gemäßen Handelns spricht, denn es ist bei der Gerechtigkeit oder der Tapferkeit ein höherer Grad denkbar, und man kann auch mehr oder minder gerechte oder besonnene Handlungen vollziehen.

Indem man ferner den obersten Wert als etwas Vollendetes, Bewegung und Werden als etwas Unvollendetes ansetzt, sucht man die Lust als eine Bewegung und ein Werden zu betrachten. Aber Aristoteles vermutet, dass nicht einmal die These, Lust sei Bewegung, richtig ist. Denn bekanntlich gehören zu jeder Bewegung wesensmäßig Schnelligkeit und Langsamkeit. Bei der Lust findet sich weder das eine noch das andere. Denn natürlich kann man schnell in Lust, wie auch in Zorn, geraten.

Aber im aktuellen Zustand der Lust gibt es keine Schnelligkeit, auch nicht in Beziehung auf einen anderen: das gibt es etwa beim Gehen, Wachsen und dergleichen. Während es also möglich ist, in die Lust schnell oder langsam hinüber zu wechseln, lässt sich das lebendige Wirken, also der aktuelle Zustand der Lust, nicht als schneller Vorgang auffassen.

Von Hans Klumbies