Andreas Wirsching nennt Gründe für die Globalisierung

Das nachhaltigste Schlagwort der beiden Jahrzehnte nach dem Umbruch von 1989 lautete ohne Zweifel „Globalisierung“. Das damit bezeichnete Phänomen hat laut Andreas Wirsching, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, eine Unmasse von Beschreibungen und Analysen hervorgebracht. Und kaum ein anderes zeitgenössisches Thema ist seiner Meinung nach ähnlich unterschiedlich, ja konträr bewertet worden. Andreas Wirsching schreibt: „Geradezu messianischem Lobpreis stand und steht nicht selten ein Verdammungsurteil entgegen, das praktisch alle sozialen und politischen Probleme des neuen Europa durch die Globalisierung bedingt sieht.“ Andreas Wirsching zitiert auch Pierre Bourdieu, der die Globalisierung als bloßes Schlagwort betrachtet, das sachlich nur wenig aussagt, sich dafür aber umso besser als pseudo-argumentatives Druckmittel eignet, um neoliberal definierte Interessen im Diskurs durchzusetzen.

Die Merkmale der Globalsierung sind nicht per se neu

Weit verbreitet ist gemäß Andreas Wirsching auch die Auffassung, dass es sich bei der Globalisierung nicht um ein grundsätzlich neues Phänomen, sondern um eine Form weltweiter Verflechtung handelt, wie sie historisch aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bekannt ist. Andreas Wirsching ergänzt: „Eine solche Auffassung kann auf gute Argumente zurückgreifen. Angeführt von der überragenden Bedeutung Großbritanniens als global agierendes Industrie- und Finanzzentrum, expandierte die Weltwirtschaft damals wie nie zuvor und erreichte zugleich ein bis dahin nicht gekanntes Maß an Integration.“

 So offenkundig die Parallelen auch sein mögen, so spricht für Andreas Wirsching doch vieles dafür, die Geschichte der zweiten Globalisierung seit den 1970er Jahren als Zäsur zu betrachten. Dabei handelt es sich seiner Meinung nach zunächst weniger um völlig neue Entwicklungen, sondern um die enorme quantitative Steigerung von Phänomenen, die im Kern bereits bekannt waren. Andreas Wirsching erklärt: „Alle Merkmale der Globalisierung – Intensivierung internationaler Arbeitsteilung, Expansion des Welthandels und der Auslandsproduktion, Ausdehnung der Kapitalinvestitionen und der Finanzmärkte, Grenzöffnungen und Migrationsbewegungen – sind nicht per se neu.“

Drei Faktoren trugen wesentlich zur Ausbreitung der Globalisierung bei

Aber die Merkmale der Globalisierung konvergierten im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in einer zuvor niemals gekannten Dynamik. Andreas Wirsching fügt hinzu: „Zumindest wenn man den Optimisten glaubt, so hat die Globalisierung tatsächlich eine neue Epoche der offenen Grenzen eingeleitet.“ Es ginge dann um eine Welt mit offenen Grenzen, die entsprechende grenzenlose Transaktionen erlaubt. Für Andreas Wirsching lagen drei verursachende Faktoren an der Wurzel der Globalisierung, die sich seit 1980 wechselseitig verstärkten.

Erstens ist weder die europäische noch die globale Geschichte seit den 1980er Jahren nicht ohne die technologische Revolution zu begreifen. Die zweite Ursache ergab sich aus einem Wandel der Wirtschafts- und Finanzpolitik in den westlichen Ländern. Die wichtigsten Träger dieser Entwicklung waren und sind die multinationalen Konzerne, deren Zahl von 1980 bis 2007 dramatisch zunahm. Andreas Wirsching erläutert: „Ihre Führungsetagen entschieden darüber, neue Produktionskapazitäten im Ausland auf- und Arbeitsplätze abzubauen, die Vertriebsnetze zu erweitern, Firmenanteile zu übernehmen oder auch ganze Firmen aufzukaufen.“

Von Hans Klumbies