Die Welt ist von Friedrich Nietzsche und Karl Marx geprägt

Der berühmte deutsche Soziologe Max Weber sagte einst zu einem Studenten: „Die Redlichkeit eines heutigen Gelehrten, und vor allem eines heutigen Philosophen, kann man daran messen, wie er sich zu Friedrich Nietzsche und Karl Marx stellt. Wer nicht zugibt, dass er gewichtige Teile seiner eigenen Arbeit nicht leisten könnte, ohne die Arbeit, die diese beiden getan haben, beschwindelt sich selbst und andere. Die Welt, in der wir selber geistig existieren, ist weitgehend eine von Karl Marx und Friedrich Nietzsche geprägte Welt.“ Andreas Urs Sommer zitiert Oswald Spengler, der im Vorwort seines Bestsellers „Untergang des Abendlandes“ schreibt: „Von Johann Wolfgang von Goethe habe ich die Methode, von Friedrich Nietzsche die Fragestellungen.“ Andreas Urs Sommer lehrt Philosophie an der Universität Freiburg i. B. und leitet die Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

Es handelt sich in der Geschichte immer nur um das Leben

Der selbsternannte Tatsachenmensch Oswald Spengler macht Friedrich Nietzsches Begriff des Lebens zum Angelpunkt seiner Geschichtsbetrachtung, die nicht einfach den Untergang herbeiredet, sondern heroisches Standhalten, imperiale Selbstermächtigung predigt: Leben sei „die Tatsache innerhalb der Welt als Geschichte“. „Es handelt sich in der Geschichte um das Leben und immer nur um das Leben, die Rasse, den Triumph des Willens zur Macht, und nicht um den Sieg von Wahrheiten, Erfindungen oder Geld.“

Aber Friedrich Nietzsches Wirkung ist laut Andreas Urs Sommer keineswegs auf Gelehrte und Philosophen beschränkt geblieben. Seine Rezeptionsgeschichte hat innerhalb der neuzeitlichen Philosophie nicht ihresgleichen. Gewiss, die Nachwirkungen von Baruch de Spinoza, von Immanuel Kant oder von Georg Wilhelm Friedrich Hegel sind innerhalb des philosophischen Feldes einschließlich benachbarter Wissenschaften gewaltig und halten bis in die Gegenwart an. Gewiss, die Nachwirkung von Karl Marx ist im politischen Feld bis heute nachhaltig – und diejenige von Søren Kierkegaard ist es im religiösen Feld.

Friedrich Nietzsches Person war oft der Gegenstand blinder Verehrung

Dennoch bleibt die Ausstrahlung dieser Philosophen auf solche einzelnen Felder begrenzt. Friedrich Nietzsches Nachwirkung demgegenüber zeichnet es aus, dass sie – bei fast völliger Echolosigkeit zur Zeit seines Schaffens – sich schon um 1900 sozial und kulturell entgrenzte: Friedrich Nietzsche sei „das größte Ausstrahlungsphänomen der Geistesgeschichte“ meinte 1950 der Dichter Gottfried Benn (1886 – 1956). Seine Rezeption fand unterschiedlichste Anknüpfungspunkte und war oft nicht am eigentlichen Werk des Philosophen orientiert.

Die philosophische Rezeption im engeren Sinn war zu Beginn verhältnismäßig bescheiden, aber seine Person war oft der Gegenstand nahezu blinder Verehrung. Für Schriftsteller wurde Friedrich Nietzsche europaweit ebenso zum einschneidenden Erlebnis wie für bildende Künstler, für die Pädagogik ebenso wie für die Psychoanalyse. Und dann ist da noch sei Einfluss auf die politische Meinungsbildung im Kaiserreich und der Weimarer Republik – ein Einfluss, der keineswegs nur reaktionäre, konservativ-revolutionäre und schließlich nationalsozialistische Kreise erfasste, sondern ebenso zionistische und sozialistische. Quelle: „Nietzsche und die Folgen“ von Andreas Urs Sommer

Von Hans Klumbies