Amartya Sen fragt nach der Reichweite der Vernunft

Für Amartya Sen, der im Jahr 1998 den Nobelpreis für Ökonomie erhielt, ist Nachdenken eine sichere Quelle der Hoffnung und Zuversicht in einer Welt, die von vergangenen und gegenwärtigen finsteren Taten verdüstert ist. Warum sich dies so verhält, ist seiner Meinung nach leicht einzusehen. Selbst wenn ein Mensch etwas total empörend findet, kann er seine Reaktion prüfen und sich fragen, ob sie angemessen ist und ob er sich von ihr leiten lassen soll. Amartya Sen schreibt: „Nachdenken kann man über die richtige Art, andere Menschen, andere Kulturen, andere Ansprüche einzuschätzen und zu behandeln, und über andersartige Gründe für Achtung und Toleranz.“

Hungersnöte sind leicht zu verhindern

Laut Amartya Sen kann ein Mensch auch über seine eigenen Fehler nachdenken und dadurch vielleicht lernen, sie nicht zu wiederholen. Auch wenn es darum geht, Taten zu erkennen, die nicht in der Absicht verübt wurden, Schaden anzurichten, sich aber dennoch schädlich auswirkten, ist das Denken und der Einsatz des Verstandes genauso wichtig. Als Beispiel nennt Amartya Sen furchtbare Hungersnöte, die nicht analysiert werden, da man von der falschen Voraussetzung ausgeht, da sie unvermeidbar sind, wenn die Gesamtmenge der verfügbaren Lebensmittel nicht spürbar erhöht wird, was aber in der Kürze der Zeit unmöglich erscheint.

Amartya Sen schreibt: „Hunderttausende, sogar Millionen Menschen können sterben infolge einer katastrophalen Untätigkeit, die auf unbedachtem Fatalismus beruht und sich als Gelassenheit aus Realitätssinn und gesundem Menschenverstand maskiert.“ In Wirklichkeit sind für Amartya Sen Hungersnöte leicht zu verhindern, weil sie nur einen geringen Prozentsatz der Bevölkerung – selten mehr als fünf Prozent und fast nie mehr als zehn Prozent – treffen und weil eine Umverteilung vorhandener Nahrung mithilfe von Sofortmaßnahmen organisiert werden kann.

Die Menschen sollten mehr über die  Zerstörung der Umwelt nachdenken

Um Hungernöte einzudämmen ist es gemäß Amartya Sen nicht einmal unbedingt nötig, mehr Lebensmittel zu haben, obwohl dies oft für selbstverständlich gehalten wird und als Rechtfertigung dafür gilt, dass man untätig bleibt, statt sofort Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Amartya Sen schreibt: „Die relativ geringe Umverteilung von Nahrungsmitteln, die man braucht, um Verhungern zu verhindern, kann dadurch erreicht werden, dass man denjenigen Kaufkraft verschafft, die aufgrund der einen oder anderen Katastrophe völlig ohne Geld sind – und diese Mittellosigkeit ist typischerweise die primäre Ursache für Verhungern.“

Für Amartya Sen gibt es keinen Zweifel daran, dass die Menschen auch mehr über die Missachtung und Zerstörung der Umwelt nachdenken sollten. Die Menschheit muss noch deutlicher erkennen, wie gravierend dieses Problem ist und wie eng es mit den negativen Auswirkungen des menschlichen Verhaltens zusammenhängt. Auch wenn die Belastung der Umwelt nicht deshalb entsteht, weil die heute lebenden Menschen den Wunsch hätten, künftige Generationen zu schädigen oder absichtlich gleichgültig gegenüber deren Interessen wären.

Von Hans Klumbies