Alexandria war der bedeutendste Wissenschaftsstandort des Altertums

Unter Ptolemaios I. Soter, „dem Retter“ (305 – 283/82 v. Chr.), einem von Alexanders Erben, wurde die Stadt Alexandria, berühmt durch ihren Leuchtturm, zum bedeutendsten Wissenschaftsstandort des Altertums. Bernd Roeck erläutert: „Ihre Bibliothek soll zusammen mit den im Heiligtum des Serapis gelagerten Werken über eine halbe Million Schriften umfasst haben.“ Nicht einmal China dürft damals über einen vergleichbar großen Wissensspeicher verfügt haben. Alexandrias „Museion“, nach Cicero eine „Werkstatt aller Künste“, war, was man heute ein interdisziplinäres Forschungszentrum nennen würde. Die ägyptischen Könige ernannten seine Mitglieder, bezahlten sie und gewährten ihnen Privilegien, etwa Steuerfreiheit. Gewöhnlich ermöglichten die Herrscher den Gelehrten dort freies Forschen und Diskutieren. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

Das Museion war eine monarchische Alternative zur „demokratischen“ Akademie

Die von jüdischen Gelehrten erarbeitete griechische Übersetzung des Alten Testaments, die „Septuaginta“, ist in Alexandria entstanden. Doch kann der Ort auch als Chiffre für mathematischen Geist, Mechanik, Physik und Geographie herhalten – auffallend zeitgliche mit der Rückbesinnung auf materialistische Naturerklärungen, wie sie Epikur in seinem Garten entwickelte. Hatte man in Athen über „erste Prinzipien“ spekuliert und Systeme errichtet, die durch den einen oder anderen empirischen Befund gestützt wurden, ging man am Nil von Einzelphänomenen aus, um daraus mathematische Modelle zu entwickeln.

Übereinstimmung mit der Realität war jedoch gegenüber ihrer inneren Stimmigkeit zweitrangig. „Alexandria“ will nicht erklären, sondern mit Zahlen und Geometrie beschreiben und beweisen. Das Museion war eine monarchische Alternative zur „demokratischen“ Akademie. Seine Organisation spiegelte die nach dem Tod Alexander des Großen und den Diadochenkriegen gewandelte politische Situation. Konkurrenz begünstigte die Entwicklung von Neuerungen. Dabei bediente man sich ruppiger Methoden.

Für Wissenschaften und Literatur war Alexandria von fundamentaler Bedeutung

Bernd Roeck erklärt: „Ein Ptolemäus, wohl der Gründer des Museion, soll angeordnet haben, dass Buchrollen, die – zum Beispiel als Leihgaben aus Athen – in Alexandrias Hafen anlangten, beschlagnahmt wurden.“ Versehen mit dem Vermerk „Die von den Schiffen“ wanderten sie in die Bibliothek. Immerhin erhielten ihre Besitzer Kopien als Entschädigung. Ptolemaios II. soll ein Verbot, Papyrus nach Pergamon zu exportieren, verfügt haben, um zu verhindern, dass die dortige weithin berühmte Bibliothek weiter wuchs und womöglich Alexandrias Glanz überstrahlte.

Für Wissenschaften und Literatur war Alexandria von fundamentaler Bedeutung. Der Arzt Herophilos von Chalkedon (um 330 – um 255 v.Chr.) und sein jüngerer Kollege Erasistatros, zwei Begründer der Anatomie, stehen am Beginn von Alexandrias medizinischer Schule. Mit Euklid, der wohl in Athen seine Ausbildung erfuhr und dann nach Alexandria ging, zählt zu einem der Väter der Optik. Die von ihm entwickelte Geometrie beherrschte den Raum sogar bis um 1830. Auch der legendäre Mathematiker, Physiker und Mechaniker Archimedes hat einige Zeit in Alexandria gewirkt.

Von Hans Klumbies