Alexander Mitscherlich macht sich Gedanken über den Schmutz

Gegenüber Schmutz, Unordnung und Anarchie können Menschen nicht unparteiisch bleiben. Hier scheiden sich die Geister, und zwar, wie Alexander Mitscherlich oft erlebt hat, auf die heftigste Weise. Der Schmutz entzieht sich seiner Meinung nach aber auch dem systematischen Denken, was eine seiner anderen Tücken ist. Alexander Mitscherlich schreibt über seine anderen Eigenschaften folgendes: „Aber Schmutz ist zufällig. Er fällt aus der Luft, gleichmäßig und ungerufen. Er ist beleidigend. Er ist herausfordernd: wisch das mal ab.“ Der Schmutz verursacht Ärger, Reinigung kostet Zeit und Geld. Wo er sich niederlässt, ist Unordnung. Er wird beseitigt, bekämpft, verhindert oder vermehrt, vertuscht. Man kann ihn mit einer Fingerprobe nachweisen, aber manchmal hält er sich unsichtbar. Alexander Mitscherlich vergleicht den Schmutz auch mit der Korruption, bei der Geld an der Stelle von Schmutz an den Fingern kleben bleibt.

Schmutz ist entweder Abfall oder wird von der Gemeinheit produziert

Der Schmutz kann allerdings auch gezielte Aktionen auslösen: Großreinemachen, auch politisches. Der Schmutz von Watergate stürzte die ganze amerikanische Nation in die Ratlosigkeit. Schmutz irritiert nicht nur, er schlägt auch zu Buche. Geheimnisvoll, denn offenbar gibt es zweierlei von seiner Sorte – der auf der Kommode ist Abfall, den anderen produziert die Gemeinheit. Die Sache mit dem Schmutz ist für Alexander Mitscherlich weder einfach noch eindeutig, obwohl man ihn scheinbar ganz klar definieren kann: „Wertvoll ist sauber, wertlos ist schmutzig.“

Schmutz ist unbeschreiblich, obwohl die Naturwissenschaften schon seit langem über seine Herkunft, seine Eigenart und Zusammensetzung aufklären. Dem Schmutz kommt man nur versuchsweise bei, denn der regeneriert sich unerschöpflich. Wenn Schmutz Materie am falschen Ort ist, dann ist für Alexander Mitscherlich ein Einfall ein Gedanke am richtigen Platz, im richtigen Moment. Er fügt hinzu: „Anderenfalls ist er aus der Luft gegriffen, Quatsch, was geistigen Schmutz bezeichnet.

Der Mächtige zwingt den Machtlosen in den Staub und wird selbst zum Dreck

Wortschmutz, Wortfäkalien dringen laut Alexander Mitscherlich wie Schlamm bei Hochwasser aus allen Ritzen unserer Sprachräume. Der Abbau von Hemmungen geht dabei schneller als ihr Erwerb. Alexander Mitscherlich trifft auch eine Unterscheidung zwischen Menschenschmutz und dem Schmutz der Menschen. Unter Menschenschmutz versteht er das von Menschen physisch hervorgebrachte, das was ihm abfällt und dem gegenüber er ein unbefangenes Gefühl mehr oder weniger verloren hat, was er zum Ur-Schmutz degradiert hat.

Der Verschmutzung der Flüsse, der Meere, der Luft folgt die Verschmutzung der Sprache. Den Schmutz, beziehungsweise die Verwüstung, die Großform von Schmutz, die der Mensch anrichtet, kann man am besten verstehen, wenn man eine Situation betrachtet, in der sich jemand durch sein Handeln selbst in Dreck verwandelt. Alexander Mitscherlich empfiehlt dazu Passagen aus Berthold Brechts „Unaufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui“ zu lesen. Die Macht zwingt darin den Machtlosen in den Staub, der Mächtige wird jedoch dabei zu Dreck.

Kurzbiographie: Alexander Mitscherlich

Der Arzt, Psychoanalytiker und Schriftsteller Alexander Mitscherlich, geboren am 20. September 1908 in München, leitete von 1960 bis 1976 das von ihm gegründete Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt am Main. Im Jahr 1969 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zu seinen Hauptwerken zählen: „Auf dem Weg zu vaterlosen Gesellschaft“, „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, „Die Unfähigkeit zu trauern“ sowie „Die Idee des Friedens“. Alexander Mitscherlich starb am 26. Juni 1982 in Frankfurt am Main.

Von Hans Klumbies