Abaelard stellt die kritische Einsicht über den Glauben

Abaelard, der 1079 in Le Pallet bei Nantes geboren war, stammte aus einer Ritterfamilie. Schon im Alter von 15 Jahren begann er seine wissenschaftlichen Studien. Zunächst ging er in die philosophische Schule des hoch geschätzten Nominalisten Roscelin von Compiègne. Um das Jahr 1100 herum, übersiedelte der angehende Philosoph nach Paris, um bei dem Realisten Wilhelm von Champeaux studierte. Nachdem er sich wegen der philosophischen Ansätze seines Lehrers mit diesem zerstritt, verließ er die Schule um selbst in Melun und Corbeil zu unterrichten. Im Alter von ungefähr 30 Jahren eröffnete Abaelard seine eigene Philosophenschule auf dem Hügel Sainte-Geneviève in Paris.

Die Liebestragödie zwischen Abaelard und Heloïse

1115 wurde Abaelard, der nun als Lehrer schon eine Berühmtheit war, zum Leiter der Kathedralschule von Notre-Dame berufen. Zu jener Zeit begann auch die Tragödie der Liebesbeziehung zwischen ihm und seiner Schülerin Heloïse. Sie gebar einen Knaben und heirateten. Abaelard musste aber die Ehe geheim halten, um seine Laufbahn als Theologe nicht zu vernichten. Der Onkel seiner Geliebten rächte sich daraufhin grausam an Abaelard, indem er ihn im Schlaf überfallen und kastrieren ließ.

Heloïse trat auf Wunsch Abaelards ins Kloster Argenteuil ein, während ihr Geliebter Mönch in St. Denis bei Paris wurde. Durch den Briefwechsel der ihrer tragischen Entzweiung folgte, wurden die beiden zu einem der berühmtesten Liebespaare der Geschichte. Auch im Kloster arbeitete Abaelard wissenschaftlich weiter. Er wollte in seiner Theologie Glauben und Wissen vereinen und machte sich damit viele Feinde, wie den einflussreichen Abt Bernhard von Clairvaux. 1121 wurde Abaelard auf Betreiben des Abtes Clairvaux in Soissons zum ersten Mal als Ketzer verurteilt.

Die Universalien waren schon vor der Schöpfung bei Gott vorhanden

Bei seinen Versuchen im Kloster oder als Lehrer der Philosophie und Theologie in Paris wieder auf die Beine zu kommen, wurden ihm ständig von seinen Gegnern attackiert. Auch ein Prozess gegen ihn im Jahre 1140 in Sens endete für ihn mit einer vernichtenden Niederlage. Er wurde dazu verurteilt, seine Schriften eigenhändig dem Feuer zu übergeben. Kurz bevor Abaelard am 21. April 1142 starb, nahm ihn der Abt Petrus Venerabilis in seinem Kloster in Cluny auf.

In seinem berühmtesten Werk „Sic et non“ wog Abaelard die Argumente der Philosophen und Kirchenlehrer gegeneinander ab, stellte die voneinander abweichenden Lehren gegenüber und kam zu dem Ergebnis, dass die Universalien (Allgemeinbegriffe) schon vor der Schöpfung bei Gott vorhanden gewesen sein müssen, innerhalb der Welt aber nur als verallgemeinerbare Eigenschaften der Einzeldinge weiterexistieren. Nicht nur das Ergebnis, zu dem Abaelard gelangte war wichtig, ebenso war es die Methode seiner Vorgehensweise.

Bei Abaelard folgt der Glauben aus der kritischen Einsicht

Indem er Lehrmeinungen und Argumente kritisch gegenüber abwog, wurde der einzelne Denker in seiner Rolle gegenüber den Autoritäten erhöht, das Denken gegenüber dem Glauben aufgewertet. Die Einsicht des Denkers erfolgt also nicht mehr aus dem Glauben, sondern der Glauben folgt der kritischen Einsicht.

Eine noch höhere Stufe erklimmt, wer die Freiheit des Denkens auf die Freiheit seiner Handlungen überträgt. Abaelard geht es in seiner Ethik um nicht mehr und nicht weniger, dass der Einzelne das Gute zu erkennen und zu tun versucht. Dabei kommt es ihm nicht auf das Resultat an, sondern schon die Absicht zählt.

Von Hans Klumbies